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Wie Zellen Entscheidungen treffen

Jan Philipp Junker erstellt Stammbäume von Zellen. Er will wissen, welche verschiedenen Wege zu einem funktionierenden Organismus führen. Vielleicht lässt sich daraus eines Tages auch ablesen, wie sich Organe regenerieren.

Der Zebrafisch ist ein besonderes Tier. Viele seiner Organe können sich nach einer Verletzung vollständig erholen. Im Herzen zum Beispiel entsteht zwar nach einem Infarkt starres Narbengewebe, doch im Gegensatz zum Menschen ist dies nach zwei Wochen wieder verschwunden. „Der Mensch ist nicht besonders gut darin, Organe zu regenerieren“, sagt Jan Philipp Junker, der den Zebrafisch in seinem Labor am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max-Delbrück-Centrums (MDC) als Modellorganismus nutzt. Er schaut sich zum Beispiel an, welche Mechanismen in den Zellen des Tieres aktiv sind, wenn sich ein Organ erholt. „Langfristig können wir so vielleicht langfristig Wege finden, diese Fähigkeit auch beim Menschen zu unterstützen“, sagt der Wissenschaftler

Der Zebrafisch wird im Labor von Jan-Philipp Junker als Modellorganismus genutzt.

Bis dahin ist jedoch noch viel Grundlagenforschung nötig. In seiner Arbeitsgruppe für „Quantitative Entwicklungsbiologie“ versuchen Jan Philipp Junker und sein Team tagtäglich zu verstehen, wie Zellen grundlegende Entscheidungen treffen. Sie analysieren dazu ihre Familienverhältnisse. Junker hat eine Technik namens LINNAEUS entwickelt, die 2018 im Fachjournal „Nature Biotechnology“ vorgestellt wurde. Sie erlaubt es, die Stammbäume von Zellen zu untersuchen. Er kann damit für Tausende einzelne Zellen aus einem Organismus gleichzeitig Herkunft und Zelltyp bestimmen.

Jan Philipp Junker, 39 Jahre alt, braune Brille, dunkle Locken, öffnet den Laptop in seinem Büro in Berlin-Mitte. Auf dem Bildschirm erscheint eine bunte Grafik, die mit ihren vielen binären Verzweigungen tatsächlich an den Stammbaum einer Adelsfamilie erinnert. Statt Fotos und Namen sieht man jedoch runde Tortendiagramme, die Stücke der Kuchen haben verschiedene Farben. An ihnen kann der Forscher erkennen, welche Zellen miteinander verwandt sind. Das können Zellen aus dem Gehirn, dem Darm oder dem Herz sein. Und die Herkunft der Zellen verrät ihm etwas darüber, wie die verschiedenen Stammbäume entstehen.

Wenn Zellstammbäume falsch verästeln

Er möchte wissen, welche unterschiedlichen Wege zu einem funktionierenden Organismus führen. „Wir gehen davon aus, dass Zellstammbäume flexibel sind, in welchem Maße wissen wir aber noch nicht“, sagt er. Während bei primitiveren Lebensformen wie etwa dem Fadenwurm die Stammbäume der Zellen exakt festgelegt sind, ist das bei Säugetieren wie der Maus oder dem Menschen nicht der Fall. Ihn interessiert: Wie variabel sind diese Stammbäume? Wie reagieren die Zellen auf Störungen?  

Viele Krankheiten basieren auf Störungen in den Zellstammbäumen. Das bekannteste Beispiel ist Krebs, wo die Kontrolle der Zellteilungen nicht mehr funktioniert. Aber auch Krankheiten wie Diabetes oder Autismus gehen darauf zurück, dass es zu viele oder zu wenige Zellen eines bestimmten Zelltyps gibt. Versteht man die Stammbäume und die grundlegenden Entscheidungsvorgänge in Zellen besser, können in Zukunft darauf ausgerichtete neue Therapien entwickelt werden.

Jan-Philipp Junker.

Der gebürtige Stuttgarter hat an der Technischen Universität München Physik studiert und promoviert. Schon als Kind war für Junker all das besonders spannend, was man nicht direkt anfassen und sehen kann. Zunächst war es das Weltall mit seinen entlegensten Planeten. Der Biologieunterricht in der Schule packte ihn erst richtig, als es molekular wurde. „Das Verborgene, Unzugängliche hat mich schon immer sehr interessiert“, sagt er. „Es fasziniert mich, darin Muster und Systeme zu entdecken.“

Etwas das ihn nicht nur in die Naturwissenschaften führte, sondern in seiner Freizeit auch immer wieder zur Kunst. In seinem Büro hat er nicht nur ein goldenes Mikroskop im Regal stehen, über seinem Tisch hängt auch das großformatige Plakat einer Ausstellung des Künstlers Gerhard Richter. Er liest gerne Bücher von Paul Auster und George Saunders. „In der Literatur geht es schließlich auch um das Verborgene – nur eben in der menschlichen Psyche“, sagt Jan Philipp Junker.

Nicht gleich die Flinte ins Korn werfen

Seine Forschungsgruppe ist noch jung, die interne Organisation aufwendig. Er zieht am liebsten durch die Labore, um mit seinen Mitarbeitern über ihre Projekte zu diskutieren. „Das ist es, wofür ich diesen Job mache“, sagt er. Als Gruppenleiter möchte er Mentor sein, die Außenperspektive einnehmen, wenn jemand in seiner Arbeit feststeckt. Dabei helfen, zu entscheiden, ob es nötig ist, die Richtung zu wechseln.  „Nicht immer trägt das, in was man als Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin Energie hineinsteckt, auch die gewünschten Früchte“, sagt er.

Trotzdem durchzuhalten, nicht aufzugeben, hat ihm in der Vergangenheit ebenfalls geholfen. Als er an seiner LINNAEUS-Technik arbeitete, erfuhr er, dass andere Gruppen, unter anderem aus Harvard, an dem gleichen Thema dran waren. „Das war unangenehm, aber es hat sich gelohnt, nicht gleich die Flinte ins Korn zu werfen“, sagt er.  Letztendlich war er genauso schnell wie die Kolleg*innen, hat mit ihnen das gleichzeitige Einreichen ihrer Paper koordiniert.

Auch sein Aufenthalt in den USA hat ihm diesbezüglich Selbstbewusstsein gegeben. Ab 2010 arbeitete er am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge. „Boston, dieses Zentrum der Wissenschaft, wo der Weltspezialist oft nur zwei Straßen weiter sitzt, ist natürlich sehr beeindruckend“, sagt er. „Man braucht sich aber auch nicht einschüchtern zu lassen.“ Seinem Professor am MIT folgte er 2013 ans Hubrecht Institute in die Niederlanden, entwickelte dort eine Methode namens „Tomo-seq“, die es ermöglicht, Genexpression mit räumlicher Auflösung zu bestimmen. Das heißt, nicht nur zu wissen, welche Gene aktiv sind, sondern auch, in welchen Organen oder Geweben.

Die ersten Tage im eigenen Labor

Seine eigene Forschungsgruppe am MDC hat er nun seit vier Jahren. An die ersten Tage als Leiter eines eigenen Labors kann er sich noch gut erinnern. Er war gerade aus Utrecht nach Berlin umgezogen. Zu Hause stapelten sich die Umzugskisten, sein neues Labor war noch ganz leer. Er musste erst einmal Geräte kaufen, Anträge auf Gelder stellen und vor allem: gute Wissenschaftler rekrutieren. „Das war auf einmal sehr viel Verantwortung“, sagt er. Und in der begrenzten Zeit eines Bewerbungsgesprächs das Potenzial eines zukünftigen Mitarbeiters zu erkennen, das sei gar nicht so leicht.

Mittlerweile kann er sagen: Es ist ihm gelungen. Sein Labor hat sich einen Namen gemacht. Jan Philipp Junker ist viel auf Reisen, wird als Sprecher zu internationalen Konferenzen eingeladen. Seit 2016 gehört er zu den jungen, aufstrebenden Forscher*innen, die der Europäische Forschungsrat (ERC) mit einem ERC Starting Grant  fördert.  Außerdem wurde er 2019 in das EMBO Young Investigator Programm für junge Forscherinnen und Forscher unter 40 aufgenommen. Verbunden ist damit nicht nur finanzielle Förderung, auch der Austausch zwischen europäischen Wissenschaftler*innen soll durch aktives Netzwerken vorangebracht werden.

In Berlin ist für ihn auch noch eine andere Herausforderung dazugekommen. Vor anderthalb Jahren ist er zum ersten Mal Vater geworden. „Seitdem treibt natürlich auch mich die Frage um, wie ich Beruf und Familienleben vereinbaren kann“, sagt er. Für einen aufstrebenden Wissenschaftler alles andere als einfach. Weil Kita-Plätze rar sind, war eine Betreuung im direkten Umgebung nicht zu finden, so fährt er morgens einen Umweg von zehn Kilometern, um seinen kleinen Sohn in die Kita zu bringen. „Das kostet mich viel Zeit. Aber ich sehe es als Sportprogramm und fahre mit dem Fahrrad“, sagt er. So tut er gleichzeitig etwas für Herz und Gesundheit. Ein Mensch ist schließlich kein Zebrafisch

Text:
Alice Ahlers

 

Weiterführende Informationen:

Arbeitsgruppe von Jan-Philipp Junker

Pressemitteilung Jan Philipp Junker ist EMBO Young Investigator