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Leukodystrophie: FMP- und MDC-Forscher ergründen rätselhafte Erbkrankheit

Menschen mit Leukodystrophie können oft nur unter Schwierigkeiten gehen oder ihre Bewegungen koordinieren, sie leiden an spastischen Lähmungen oder auch epileptischen Anfällen.  Auf der Suche nach den Ursachen der seltenen und unheilbaren Erkrankung haben Forscher vom Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch entdeckt, dass bei der Krankheit ein feines Zusammenspiel von drei Proteinen in der weißen Substanz des Gehirns gestört ist. (NATURE COMMUNICATIONS| DOI: 10.1038/ncomms4475)*. Der Fall zeigt, dass neurologische Erkrankungen nicht zwangsläufig auf Defekten in den Nervenzellen selbst beruhen: Um optimal funktionieren zu können, sind die Nervenbahnen in ein komplexes Netzwerk aus sogenannten Gliazellen eingebettet, deren Bedeutung lange unterschätzt wurde.

Leukodystrophie kann in vielen Formen auftreten, die Symptome sind dabei höchst unterschiedlich. Mal leiden die Menschen an deutlichen motorischen Störungen, in anderen Fällen treten nur leichte Symptome auf. Erste Anzeichen machen sich meist im Kindesalter bemerkbar, manchmal aber auch erst im Erwachsenalter, und die Krankheit kann sich im Verlauf des Lebens sogar abmildern. Die Betroffenen leiden an einer Degeneration der weißen Hirnsubstanz, vor allem sind die sogenannten Myelinscheiden betroffen, die die Nervenbahnen umhüllen. „Myelinscheiden sind eine ‚Erfindung‘ der Wirbeltiere – durch die isolierende Schicht um die langen Ausläufer der Nervenzellen werden die elektrischen Signale stark beschleunigt“, erklärt Prof. Thomas Jentsch, dessen Abteilung am FMP und am MDC angesiedelt ist.

 

Myelinscheiden werden von spezialisierten Zellen gebildet, die sich um die Nervenfasern herumwickeln. Sie bilden mit anderen sogenannten Gliazellen ein kontinuierliches Netzwerk, das wiederum mit den Blutgefäßen im Gehirn in Verbindung seht. Das Netzwerk ist auch notwendig, um die Nervenzellen zu ernähren, sie einzubetten und ihnen genau die Umgebung zu bieten, die sie zum Funktionieren benötigen. Bei Menschen mit Leukodystrophie aber gibt es kleine Fehler in dem Gefüge: Verschiedene Mutationen in ihrem Erbgut sorgen dafür, dass es in dieser präzisen Koordination zu Fehlern kommt.

Um die Krankheit zu verstehen, erzeugten die Forscher unter der Leitung von Prof. Jentsch Mäuse mit Mutationen, die mit einer bestimmten Form der Leukodystrophie – der Megalenzephale Leukoenzephalopathie mit subkortikalen Zysten – vergleichbar waren. Bei dieser Form bilden sich kleine Flüssigkeitsansammlungen in der weißen Hirnsubstanz, die man durch bildgebende Diagnostik ausfindig machen kann. Als Thomas Jentsch und seine Mitarbeiter die Mäuse genauer untersuchten, fanden sie heraus, dass von den Mutationen der Zusammenschluss von drei Proteinen betroffen ist, die sich normalerweise an den Ausläufern der Gliazellen befinden. Das Dreiergespann vermittelt den Kontakt zu Blutbahnen und öffnet einen speziellen Kanal, so dass von dort Chloridionen in den Blutkreislauf ausströmen können. „Dieser Ausstrom ist nötig, um nach einem Nervenreiz in der Umgebung das elektrische Gleichgewicht wiederherzustellen“, erklärt Thomas Jentsch.

 

*Auch wenn die Leukodystrophie vorerst unheilbar bleibt, zeigt das Beispiel, welche große Wirkung selbst kleine Veränderungen im Gehirn haben können, und in welch enger Beziehung die Nervenzellen zu den sie umgebenden Zellen stehen. Nervenzellen sind nicht einfach nur untereinander verschaltet, sondern werden in ihrer Funktionsweise auch entscheidend durch die Gliazellen unterstützt. Thomas Jentsch möchte nun untersuchen, welche Typen von diesen Zellen bei der Krankheit besonders betroffen sind.

 

* Disrupting MLC1 and GlialCAM and ClC-2 interactions in leukodystrophy entails glial chloride channel dysfunction

 

Maja B. Hoegg-Beiler1,2,*, Sònia Sirisi3,4,*, Ian J. Orozco1,2,*, Isidre Ferrer5, Svea Hohensee1, Muriel Auberson1,2,†, Kathrin Gödde1,2, Clara Vilches4, Miguel López de Heredia4,6, Virginia Nunes4,6,7, Raúl Estévez3,8 & Thomas J. Jentsch1,2,9

 

1Leibniz-Institut für molekulare Pharmakologie (FMP), Department Physiology and Pathology of Ion Transport, D-13125 Berlin, Germany. 2Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), D-13125 Berlin, Germany. 3Physiology Section, Physiological Sciences II, Universitat de Barcelona, E-08907 Barcelona, Spain. 4Molecular Genetics Laboratory-IDIBELL, E-08908 Barcelona, Spain. 5Institute of Neuropathology, Pathologic Anatomy Service, IDIBELLUniversity Hospital Bellvitge, E-08907 L’Hospitalet de Llobregat, Spain. 6Centro de Investigación en Red de Enfermedades Raras CIBERER, ISCIII U-730, E-08908 Barcelona, Spain. 7Genetics Section, Physiological Sciences II, Universitat de Barcelona, E-08907 Barcelona, Spain. 8Centro de Investigación en Red de Enfermedades Raras CIBERER, ISCIII U-750, E-08907 Barcelona, Spain. 9NeuroCure Cluster of Excellence, Charite´ Universitätsmedizin Berlin, D-10117 Berlin, Germany. *These authors contributed equally to this work.


Text: Dr. Birgit Herden
Kontakt:
Thomas J. Jentsch
jentsch (at) fmp-berlin.de
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Öffentlichkeitsarbeit
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