Krankhaftes Herzmuskelgewebe, AG Hübner

Kontrollverlust in Herzmuskelzellen

Titin ist das größte Protein des menschlichen Körpers und übernimmt eine zentrale Aufgabe in Muskelfasern. Wie Mutationen im Titin-Gen zu einer Erkrankung des Herzmuskels, der dilatativen Kardiomyopathie, führen können, berichtet nun ein DZHK-Team unter der Beteiligung von Norbert Hübner in „Science Translational Medicine“.

Ein Team mit Wissenschaftler*innen des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) hat erstmals nachgewiesen, dass bei Patientinnen und Patienten mit einer bestimmten Mutation im Titin-Gen viele verkürzte und weniger gesunde Titin-Proteine in den Herzmuskelzellen vorliegen. Das schwächt den Herzmuskel und kann zur dilativen Kardiomyopathie führen. Dabei sind die Herzkammern und die Herzvorhöfe krankhaft erweitert, das Herz kann nicht mehr richtig pumpen.

Bislang war es nicht klar, ob Mutationen im Titin-Gen zu einer kürzeren Form des Proteins führen oder dieses verkürzte Protein abgebaut wird.
Prof. Dr. Norbert Hübner
Norbert Hübner Leiter der AG „Genetik und Genomik von Herzkreislauferkrankungen“

„Die Ursachen von dilatativer Kardiomyopathie sind vielfältig – die häufigste ist allerdings ganz klar eine Mutation, die das Titin-Gen verkürzt“, sagt Projektleiter Professor Wolfgang Linke, der Direktor des Instituts für Physiologie II der Universität Münster (WWU) ist und eine Arbeitsgruppe am Herzzentrum in Göttingen leitet. Wie die meisten Gene kommt das Titin-Gen zweimal im menschlichen Körper vor. Bei Patient*innen mit einer dilatativen Kardiomyopathie (DCM) und dieser Mutation ist nur eins der beiden Titin-Gene verkürzt, das andere hat noch seine volle Länge und ist gesund. „Bislang war es nicht klar, ob Mutationen im Titin-Gen zu einer kürzeren Form des Proteins führen oder dieses verkürzte Protein abgebaut wird“, sagt Professor Norbert Hübner, Leiter der Arbeitsgruppe „Genetik und Genomik von Herzkreislauferkrankungen“ am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC). Der DZHK-Forscher war ebenfalls an der Studie beteiligt.

Theoretisch wäre es möglich, dass das gesunde Gen ausreichend Titin produziert, um die Herzmuskelzellen zu versorgen. Anhand von über 100 Herzgewebsproben fand das Forschungsteam heraus, dass das gesunde Gen bei den DCM-Patienten zwar verstärkt abgelesen wird, bei ihnen aber trotzdem deutlich weniger gesundes Titinprotein vorkam als bei herzgesunden Menschen oder DCM-Patient*innen mit einer anderen Krankheitsursache. Weniger Titin bedeutet weniger kontraktile – zum Zusammenziehen fähige – Einheiten im Muskel. Dadurch entwickelt der Muskel weniger Kraft, das Herz ist geschwächt.

Qualitätskontrolle der Zellen versagt

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wiesen darüber hinaus erstmals nach, dass in den Herzmuskelzellen der DCM-Erkrankten auch verkürzte Titinproteine vorkommen. Bislang hatte man diese verkürzten Proteine nie gefunden. „Wir zeigen, dass die verkürzten Proteine den Herzmuskelzellen nichts mehr nützen, da sie nicht in die Sarkomere, die kleinsten kontraktilen Einheiten einer Muskelzelle, eingebaut werden“, sagt Linke. Stattdessen sammeln sich die verkürzten Proteine in kleinen Partikeln innerhalb der Zellen. Ähnlich wie bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer könnten diese verklumpten Proteine laut Linke „giftig“ sein.

Die beginnende Zerstörung des Herzgewebes einer Person, die einen krankhaft erweiterten Herzmuskel hat (dilatative Kardiomyopathie), ist schwarz erkennbar. Rot gefärbt ist Titin, grün ein anderer Marker der kontraktilen Einheiten (Alpha-Aktinin), blau die Zellkerne.

Die Herzmuskelzellen von DCM-Erkrankten mit verkürztem Titin-Gen haben auch ein Problem mit den Protein-Qualitätskontrollsystemen, berichten die Forscherinnen und Forscher in „Science Translational Medicine“. Normalerweise werden mutierte Proteine in den Zellen möglichst schnell abgebaut. Die verkürzten Titin-Proteine sind jedoch sehr stabil und werden von den Kontrollsystemen der Zellen nicht erkannt.

Genschere kann Mutation reparieren

„Unsere Studie ist eine für das Feld wegweisende Arbeit“, sagt Linke. Er und seine Kolleg*innen an der Universitätsmedizin Göttingen und dem Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin konnten auch vorschlagen, wie DCM-Erkrankte mit einem verkürzten Titin-Gen erfolgreich behandelt oder sogar geheilt werden könnten. „Wir zeigen an Herzmuskelzellkulturen aus Stammzellen, dass die Genschere CRISPR/Cas9 die Mutation wieder reparieren kann. Beim Patienten müsste die Genschere an Ort und Stelle ansetzen, also genau an der Herzmuskelzelle. Das ist in dieser Form noch nicht möglich – aber wenn es möglich wird, kann es heilen“, erklärt der Projektleiter.

Die Studie entstand in enger Zusammenarbeit von Institut für Physiologie II und Kardiologie der münsterschen Uniklinik mit dem Herz- und Diabeteszentrum Bad Oeynhausen und der Universitätsmedizin in Göttingen, wo Linke eine Gastprofessur innehat. Weitere Kollaborationspartner sind das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin und die Kardiologie an der Technischen Universität München. Unterstützt wurde die Arbeit durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Sonderforschungsbereich 1002), zwei Förderlinien der Medizinischen Fakultät Münster (IZKF und MedK) und das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislaufforschung.

Text: DZHK, Universität Münster

 

Weiterführende Informationen

Literatur

Andrey Fomin et al. (2021): „Truncated titin proteins and titin haploinsufficiency are targets for functional recovery in human cardiomyopathy due to TTN mutations“. Science Translational Medicine, DOI: 10.1126/scitranslmed.abd3079

 

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Die beginnende Zerstörung des Herzgewebes einer Person, die einen krankhaft erweiterten Herzmuskel hat (dilatative Kardiomyopathie), ist schwarz erkennbar. Rot gefärbt ist Titin, grün ein anderer Marker der kontraktilen Einheiten (Alpha-Aktinin), blau die Zellkerne. Foto: AG Linke, Universität Münster