Was Typ-2-Diabetes antreibt
Etwa 537 Millionen Menschen weltweit waren 2021 an Typ-2-Diabetes erkrankt – und die Zahl steigt weiter. Typ-2-Diabetes entsteht, wenn die Betazellen in den Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse nicht mehr genug Insulin produzieren. Nach einer Mahlzeit können die Gewebezellen daher den Zucker aus dem Blut nicht mehr adäquat aufnehmen. Zwar gibt es Medikamente, die die Ausschüttung von Insulin anregen. Doch oft funktioniert das nicht dauerhaft, sodass die Patient*innen letztendlich Insulin spritzen müssen.
„Wir wissen, dass die gegenwärtigen Ansätze, die Insulinausschüttung anzukurbeln, Diabetes nicht langfristig rückgängig machen. Wir steigen gewissermaßen mit dem Fuß aufs Gaspedal und lassen ihn dort stehen. Die Betazellen versagen dann ab einem bestimmten Punkt“, sagt Professorin Maike Sander, die Wissenschaftliche Vorständin des Max Delbrück Centers. Zusammen mit Professor Kyle Gaulton, University of California San Diego, und Professor Sebastian Preissl, Universität Freiburg, gehört sie zu den Letztautor*innen der Studie in „Nature Genetics“.
Forscher*innen untersuchen die Ursachen von Diabetes, um bessere Therapien zu entwickeln. Inwiefern macht zum Beispiel die Genregulation Menschen anfälliger für Typ-2-Diabetes? Um dieser Frage nachzugehen, wurden Sander und ihre Kooperationspartner von den US-amerikanischen National Institutes of Health haben gefördert. Nun hat das Team herausgefunden, dass sich die relative Häufigkeit der Betazell-Subtypen verschiebt, wenn Typ-2-Diabetes entsteht.
Ein detaillierteres Bild der Langerhans-Inseln
Die Forscher*innen haben Langerhans-Insel-Proben von 34 verstorbenen Organspender*innen untersucht, die entweder gesund waren, eine Vorstufe von Diabetes hatten oder bereits an Typ-2-Diabetes erkrankt waren. Sie kartierten Veränderungen in der Genregulation und korrelierten diese dann mit der Funktionsfähigkeit der Betazellen. Zuvor hatten sie überprüft, ob die einzelnen Betazellen Insulin ausschütten können, wenn sie mit Glukose konfrontiert werden.
Diese Verschiebung ist ein entscheidendes Merkmal von Typ-2-Diabetes.
Demnach kehrt sich bei Typ-2-Diabetes das relative Kräfteverhältnis der beiden Betazell-Subtypen um: Der Subtyp, der bei Nicht-Diabetikern seltener vorkommt, ist bei den Erkrankten stärker vertreten. „Diese Verschiebung ist ein entscheidendes Merkmal von Typ-2-Diabetes“, sagt Sander. „Die Subtypen verschieben sich nicht bei Menschen mit Prä-Diabetes“, sagt Sander. „Das deutet darauf hin, dass man bereits einen erhöhten Blutzuckerspiegel haben muss, damit der Austausch der Subtypen stattfindet.“
Die Wissenschaftler*innen fanden auch einen Hinweis darauf, dass Menschen mit einer genetischen Veranlagung für Typ-2-Diabetes eher dazu neigen, die Betazell-Subtypen auszutauschen.
Medikamentensuche mit Organoiden
„Diese Besonderheit des Diabetes sollte man genauer untersuchen, denn potenziell ergeben sich hier Ansatzpunkte für neue Medikamente“, sagt Sander. „Wenn man den Austausch der Subtypen verhindern könnte, könnte man dann das Fortschreiten in Richtung Typ-2-Diabetes verhindern? Das ist die Schlüsselfrage.“
Am Max Delbrück Center in Berlin entwickelt ihre Arbeitsgruppe nun Organoide, die die Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse nachbilden und bei der Suche nach Zielstrukturen für Medikamente als Werkzeug dienen. „Damit können wir nach Genen suchen und Wirkstoffscreenings durchführen – und gleich testen, wie sich das jeweils auf die Fähigkeit der Betazellen auswirkt, Insulin auszuschütten“, sagt Sander.
gav
Weiterführende Informationen
- Gaulton Lab an der UCSD
- AG Preissl an der Universität Freiburg
- Organoidforschung am Max Delbrück Center
Literatur
Gaowei Wang et al (2023): “Integrating genetics with single-cell multiomic measurements across disease states identifies mechanisms of beta cell dysfunction in type 2 diabetes.” Nature Genetics, DOI: 10.1038/s41588-023-01397-9