DDR Campus Buch Planung

„Was wird aus uns - aus unserem Institut?"

Dr. Gudrun Erzgräber, zuletzt Geschäftsführerin der BBB Management GmbH Campus Berlin-Buch

Dr. Gudrun Erzgräber arbeitete nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern auch in einer leitenden Position am Zentralinstitut für Molekularbiologie (ZIM). Nach der Gründung des MDC fing sie noch einmal neu an und baute den BiotechPark Berlin-Buch auf. Wie sie die Wende und die Zeit danach erlebte, erzählt sie im Interview.

Dr. Gudrun Erzgräber kam für dieses Interview auf den Campus Berlin-Buch, wo sie viele Jahre ihres Lebens gearbeitet hat.

Frau Dr. Erzgräber, im Herbst 1989 arbeiteten Sie hier auf dem Campus. Wo waren Sie am 9. November?

Ich bin am 9. November zur normalen Zeit schlafen gegangen. Ich glaube, das war ein Donnerstag. Die Sendung mit Schabowski habe ich nicht gesehen, sodass ich daraus auch keine Schlussfolgerung ziehen konnte. Stattdessen bin ich am nächsten Tag in der Früh hier ins Institut gekommen und dachte: „Irgendwas ist in Bewegung“. Ganz viele Menschen liefen kreuz und quer. Grüppchen standen umher, unterhielten sich und ich habe eigentlich erst am Arbeitsplatz erfahren, was in der Nacht passiert ist.

Was haben Sie dann als Erstes gedacht?

Meine ersten Gedanken waren sehr ambivalent und eher ernster Natur – ich empfand keine riesige freudige Bewegtheit. Was wird jetzt hier? Was wird aus uns – aus unserem Institut? Wie werden sich die nächsten Monate entwickeln? Als ich dann am nächsten Abend über den Ku’damm lief, wie viele Tausende, und dort mitbekam, wie emotional, freudig, sehr erregt diese Stimmung war, bin ich eigentlich noch skeptischer geworden. Ich dachte, diese Freude über die schnelle Entwicklung, über die Bananen und die Bierbüchsen und was sich da alles so abspielte auf dem Ku’damm, das ist doch eine Sache von sehr oberflächlicher Natur. Von dem Tag an ließen mich nie die Gedanken los, wie sich das weiterentwickeln wird mit der DDR.

Many, including myself, hoped that something new would develop out of the GDR.
Dr. Gudrun Erzgräber
Gudrun Erzgräber former employee at MDC and ZIM

Was haben Sie denn gehofft?

Viele, und dazu gehörte ich auch, hatten gehofft, dass sich aus der DDR heraus etwas Neues entwickeln kann. Eine Hoffnung, die sich dann im Laufe der folgenden Monate zerschlug.

Ich war sehr überrascht, dass sich im März bei der ersten freien Volkskammerwahl die Mehrheit der Bevölkerung für die CDU und damit für den Anschluss der DDR an die BRD entschieden hatte. Aus meinem Umfeld heraus – von Freunden, Bekannten, Kollegen usw. – konnte ich das nicht absehen. Ich dachte, dass man einiges aus der DDR beibehalten und retten könnte. Und das hat sich absolut überhaupt nicht bewahrheitet.

Was denn zum Beispiel?

Ich hätte mir eine gute Kita-Betreuung gewünscht, was später ja auch wieder eingeführt wurde. Ich selber war anfangs alleinerziehende Mutter und immer berufstätig. Ich hatte immer viel Unterstützung durch Kindergartenplätze und Kinderkrippe, auch Schule. Das war mit einem Schlag ganz anders geworden. Dann denke ich an Teile im Gesundheitswesen, die wegbrachen, Einrichtungen wie das heutige MVZ [Medizinisches Versorgungszentrum], unsere früheren Polikliniken. Vielleicht auch die zentral gelenkten Schulen statt der Bildungshoheit der Länder bis zum Gymnasium. An einige solcher Dinge denke ich jetzt zuerst.

Wie ging es für Sie auf dem Campus Buch weiter?

Für mich war Arbeit fast immer der Hauptinhalt des Lebens. Aber was sich dann 1990 auf der Arbeit alles entwickelte, war für mich persönlich nicht immer ein Grund zur Freude. Wir, die alte Institutsleitung, wurden intensiv befragt von den ZIM-Mitarbeitern und um Transparenz gebeten über viele Dinge. Daran haben sich Wochen und Monate angeschlossen, in denen wir sehr viel Arbeit damit hatten und uns mit sehr vielen Dingen auseinandersetzen mussten.

Hatten Sie Angst, was beruflich aus Ihnen werden wird?

Natürlich hatte ich Angst, dass wir in unserem Alter keinen Job mehr finden. Im Mai 1989 bin ich 50 geworden. Das ist ein Alter, in dem man schwer wieder Fuß fasst. Mangels Alternativen war für mich klar, dass ich versuchen wollte und musste, wenn überhaupt nochmal, hier auf dem Campus Arbeit zu finden. Ich war damals neben der Position als stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Molekularbiologie auch noch wissenschaftlich tätig, in der Abteilung Strahlenbiologie des Zentralinstituts für Krebsforschung. Wir hatten uns in dieser Abteilung sehr bemüht, Kooperationen mit westdeutschen Kollegen aufzubauen.

Ich habe also Projektanträge eingereicht am Hahn-Meitner-Institut in West-Berlin, an der GSI Darmstadt, das war damals die Gesellschaft für Schwerionenforschung. Experimentell habe ich daher auch in West-Berlin und in Darmstadt gearbeitet. Aber wir sahen keine Möglichkeit mehr, das nochmal zum hauptberuflichen Thema zu machen. Für uns ostdeutsche Kollegen gab es kaum eine Möglichkeit, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Am MDC war die Strahlenforschung von vornherein klar, dass das in keiner Weise Eingang findet. Insofern hatte ich große Bedenken, ob ich nochmal arbeiten kann. Das ist für jeden von uns hart gewesen. Es haben auch nicht alle geschafft. Viele haben es geschafft, das ist schön, aber manche eben nicht.

Sie kennen den Campus vor und nach der Wende. Hat sich das Miteinander verändert?

Das fällt mir jetzt schwer zu beantworten. Wir waren Teams, oder wie wir früher sagten: „Kollektive“, die sehr familiär miteinander umgingen und auch Freizeit miteinander verbrachten. Da waren die Kinder, Betreuung oder gemeinsame Feiern Thema. Ich glaube, das ist anders geworden, vor allem weil es keine stabilen Teams mehr gibt. Sehr häufig wechselt das ja auch in der Zusammensetzung. Wir waren ein überaltertes Institut. Es gab wenig Planstellen, um junge Leute einzustellen. Das musste sich ja immer biologisch lösen. Das klingt jetzt ein bisschen makaber, aber das war so! Die meisten hatten einen unbefristeten Arbeitsvertrag, das war so üblich. Und dadurch waren das gewachsene Teams, völlig anders als es heute ist.

Wie war der Anfang am MDC für Sie, mit neuen und alten Kollegen?

Naja. Man war manchmal sehr erschrocken, wie sich frühere Kollegen nach der Wende einem selbst gegenüber verhielten – das hatte man vorher nicht so gemerkt, was auch ziemlich verständlich war. Als ich am ZIM in einer Leitungsposition arbeitete, brach bei den Kollegen ein solches Verhalten ja nicht heraus, weil sie sich abhängig fühlten von der Institutsleitung. Diese Veränderung war schon bei manchen Personen überraschend.

Wurden Sie offen angefeindet?

Ja. Ich möchte keine Namen nennen, aber es gab mal einen PKW, der fuhr über den Campus mit einem großen Schild hinten drin: Stasi-Erzgräber. Ich wurde sehr beschimpft, weil ich ab 1992 im Standortmanagement für den Wachdienst zuständig war, für die Gartenpflege und all diese Managementfragen. Das war dann der Frust einiger darüber, dass ich hier überhaupt wieder eine Anstellung gefunden hatte. Es gab wieder andere Kollegen, die mich in der Wendezeit sehr angefeindet haben und nach ein paar Jahren, als ich hier Geschäftsführerin wurde, sehr freundlich und nett waren. Umbrüche bringen vieles hervor, was man vorher nicht gesehen hat. Man wird sehr viel reicher an Lebenserfahrung.

Bundesforschungsminister Dr. Heinz Riesenhuber, Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Gründungsdirektor Prof. Dr. Detlev Ganten (von links) bei der Eröffnungsfeier des MDC.

Sehr für mich eingesetzt und hinter mich gestellt hat sich Professor Ganten, der sich von Denunziationen überhaupt nicht beeindrucken ließ. Natürlich hat er mich einmal gefragt: „Sagen Sie es mir ganz ehrlich: Waren Sie bei der Stasi, waren Sie nicht bei der Stasi?“ Das war noch vor seiner Antrittsrede. Da habe ich gesagt: „Also wirklich nicht.“ Ich bin ein Quereinsteiger aus der Wissenschaft gewesen, mich hatte nie jemand gefragt. Und damit war die Sache dann für ihn klar und er hat gesagt: „Kommen Sie jederzeit zu mir, ich stell mich hinter Sie.“ Das hat er dann auch getan.

Das MDC ist aus den Instituten der Akademien der Wissenschaften hervorgegangen, einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden übernommen, andere nicht. Was lief in diesem Prozess gut, was lief schlecht?

Also das ist eher eine Frage an Professor Ganten – wir hatten damals eine Übereinkunft, dass ich mich aus sämtlichen Personalfragen raushalte und mich um den Campus und den Biotechnologiepark kümmere. Das habe ich dann ja auch gemacht. Gemeinsam mit Frau Bimmler, das war die erste Personalrätin hier, haben wir sehr viele Fördermittel auf den Campus geholt, unter anderem Projektmittel aus dem Europäischen Sozialfonds. Es ging bei den Projektmitteln darum, arbeitslose Wissenschaftler aus dem Osten am MDC mit neuen Arbeitsmethoden, mit neuen Techniken vertraut zu machen. Wir wollten sie damit wieder für den ersten Arbeitsmarkt fit machen. Das ist in wirklich vielen Fällen gelungen.

Wir konnten sehr viele arbeitslose Wissenschaftler und eine Reihe technischer Kräfte mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfond in der BBB [BBB Management GmbH Berlin Buch] anstellen, über viele Jahre und mit vielen Millionen Euro. Ich denke, wir können stolz auf dieses Projekt sein. Wir hatten ungefähr 85 Prozent Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt. Das war ein Paradeprojekt in Ostdeutschland, einige andere Institute haben das dann auch beantragt. Ich denke, das hat uns eine ganze Menge Anerkennung verschafft. Viele Mitarbeiter kamen hinterher zu uns und haben sich bedankt.

Wie blicken Sie heute auf diese Zeit zurück?

Es war schon eine sehr bewegende Zeit. Ich selbst sehe sie im Nachhinein als einen außerordentlichen Glücksfall für mich, weil ich sonst diesen Sprung und diese ganze Herausforderung in dieser Form nicht mehr gehabt hätte. Das zeigt mir auch immer wieder, dass man mit 52 oder 53 noch einmal neu anfangen kann. Insofern ist die ganze Entwicklung seit der Wende, für mich ganz persönlich gesehen, auf der positiven Seite meines Lebens – zu 100 Prozent!


Die Fragen stellte Christina Anders.