Club Tresor

Mein Souvenir aus dem Westen

Nadja Daberkow-Nitsche, Abteilungsleiterin und Tierhausleiterin, Tierschutzbeauftragte

Wir machten uns Sorgen, was passiert, wenn die Grenzen wieder geschlossen würden. Wollten wir zurück - oder war das DIE Gelegenheit?
Ich muss zugeben, ich hatte Angst. Dennoch siegte die Neugier.
Nadja Daberkow-Nitsche Abteilungsleiterin und Tierhausleiterin, Tierschutzbeauftragte

Es war eigentlich ein typischer Berliner Novemberabend. Ich war 19 und wohnte noch bei meiner Mutter. Gegen halb elf, wir saßen vor dem Fernseher und verfolgten ungläubig das aktuelle Geschehen am Fernseher, klingelten mein Onkel und sein Kumpel Frank bei uns. Sie waren beide sehr aufgeregt und wollten ihre Aufregung über die politischen Entwicklungen mit uns teilen. Wir wohnten zu der Zeit unweit des ehemaligen Grenzübergangs an der Sonnenallee. Im nervösen Gespräch kam die Frage auf: „Wollen wir nicht mal gucken gehen?“

Die Autorin Ende der 80er oder Anfang der 90er Jahre.

Ich muss zugeben, ich hatte Angst. Nach einer Kindheit im Kalten Krieg, in der wir in der Schule lernten, wie man Handgranatenattrappen wirft, sich vor dem drohenden Atomkrieg schützt und mal eben aus den im Haushalt verfügbaren Materialien einen Atemschutz bastelt, hatte ich keine Zweifel, dass die Regierung jedes Mittel nutzen würde, um „ihr Volk“ an unerwünschtem Verhalten zu hindern. Dennoch siegte die Neugier. Nur meine Mutter und mein Onkel blieben bei meiner jüngeren Schwester, die gerade den Mauerfall verschlief.

Unterwegs auf der Westseite der Sonnenallee

Ich machte mich zusammen mit Frank zu Fuß auf den Weg zur Sonnenallee. Und dort fand gerade eine kleine Völkerwanderung in den Westen statt. Längst nicht so spektakulär wie die Bilder aus dem Fernsehen, aber es war eine Wanderung in bisher unbekannte Gefilde. Und so wanderten auch wir gemeinsam die Sonnenallee entlang. Wir machten uns Sorgen, was passiert, wenn die Grenzen wieder geschlossen würden. Wollten wir zurück - oder war das DIE Gelegenheit?

Symbolbild: DDR-Grenzübergang in Berlin, Blick auf den Grenzübergang Sonnenallee. (Undatierte Aufnahme). 

Eines stand fest: Der Moment schrie nach einem Erinnerungsstück. Leider hatte die Sonnenallee da nichts zu bieten. Wohnhäuser, Industrie und geschlossene Geschäfte. Uns fiel an einer Straßenecke ein Kondomautomat ins Auge und ich hatte eine Idee. Wir könnten doch versuchen, mit einem 5-(Ost-)Markstück dort ein Souvenir für diesen besonderen Moment zu erbeuten! Der Plan ging auf, wir teilten den Viererpack redlich unter uns auf und freuen uns noch heute über diesen erfolgreichen Coup.

Die Eindrücke dieser Nacht sind uns gut im Gedächtnis geblieben, auch wenn die Sonnenallee für den Eintritt in den Westteil Berlins nicht so spannend war. 
So ließen sich meine Lebensziele erreichen und ich lernte die Freiheit leben. Ich konnte z. B. meinen Berufswunsch in die Realität umsetzen und wurde Tierärztin. Ein Plan, der zuvor gescheitert war, da ich nicht für drei Jahre der Nationalen Volksarmee beitreten wollte. Vieles wäre anders gelaufen – daher bin ich sehr froh, dass ab dem 9.11.89 die Grenzen offen blieben!

 

© picture-alliance/ ZB/Jens Kalaene