Innovationen in der Biomedizin fördern
Bis aus Forschungsergebnissen marktfähige Produkte werden, die in der Patientenversorgung zum Einsatz kommen, vergehen nicht selten zehn Jahre und mehr. Auf dem langen Weg bis zum Abschluss von Lizenzverträgen, Industriekooperationen oder zur Gründung von Start-ups begleitet die Abteilung Technologietransfer des Max Delbrück Centers die Wissenschaftler*innen, gibt ihren Arbeiten oft einen entscheidenden Impuls in Richtung Verwertbarkeit. Das sechsköpfige Team organisiert Seminare zu Produktentwicklung und Patentierungsstrategien, bietet Coachings und Mentoring an, hilft bei der Suche nach Industriepartnern oder Fördermöglichkeiten und ist für die Patent- und Lizenzadministration verantwortlich. Dabei arbeiten sie eng mit der Technologietransferstelle der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Ascenion GmbH zusammen, einem unabhängigen Wissens- und Technologietransfer-Unternehmen.
Zu den Angeboten des Technologietransfers gehören unter anderem zwei Förderprogramme – BOOST und Pre-GoBio. „Unser BOOST-Programm ist ein Ideenwettbewerb, mit dem wir Projekte im Frühstadium fördern“, erläutert Innovations- und Technologiemanager Dr. Daniel Romaker. Bewerben können sich Wissenschaftler*innen des Max Delbrück Centers, die mit ihrer Idee noch ganz am Anfang stehen, sie belegen müssen oder eine Machbarkeitsstudie benötigen. Die Gewinner*innen des Wettbewerbs erhalten für einen Zeitraum von zwölf Monaten eine Starthilfe in Höhe von 40.000 Euro für Sachmittel und Aufträge. Außerdem unterstützt ein externer Coach die gezielte Produktentwicklung.
Die BOOST-Förderung geht in diesem Jahr an drei Forscher*innen: den Leiter der Technologie-Plattform „Bioinformatics and Omics Data Science“ Dr. Altuna Akalin, an Dr. Zsuzsanna Izsvák, die die Gruppe „Mobile DNA“ leitet; und an Professorin Kathrin de la Rosa, Leiterin der Gruppe „Krebs & Immunologie / Immunmechanismen und humane Antikörper“, die mit ihrer Doktorandin Clara Vázquez García an einer neuen Plattform zur Entwicklung von Impfstoffen arbeitet. Über dieses Projekt kann leider noch nichts öffentlich verraten werden. Die anderen beiden Förderprojekte sind hier präsentiert:
Dr. Altuna Akalin: Captain Kirk nutzt jetzt ChatGPT
Das System soll Forschende in die Lage versetzen, ihre Daten selbst auszuwerten. Und es soll Bioinformatiker*innen ermöglichen, effizienter zu arbeiten
Schon Captain Kirk auf dem Raumschiff Enterprise sprach mit dem Bordcomputer, wenn er die Koordinaten eines Sternsystems oder irgendetwas anderes wissen wollte. Eine sprachgesteuerte Kommunikation mit dem Computer will Dr. Altuna Akalin nun auch Wissenschaftler*innen ermöglichen. Basierend auf der GPT-Technologie will er ein textbasiertes Dialogsystem als Benutzerschnittstelle für Analyse-Programme entwickeln. GPT steht für „Generative Pre-trained Transformer“ und ist eine hochmoderne Technologie des maschinellen Lernens für umfassende Sprachmodelle. „Die Programme für die Analyse von Sequenzierdaten sind nicht besonders nutzerfreundlich“, erläutert der Datenwissenschaftler, „für jemanden ohne IT-Vorkenntnisse sind sie oft sehr schwierig zu bedienen.“ Er will einen Chatbot entwickeln, der mit den Forschenden kommuniziert, sie beispielsweise fragt, welche Proben vorliegen und was genau analysiert werden soll. So leitet er sie Schritt für Schritt durch die Datenanalyse. Darüber hinaus soll der Bot mit einem offenen Datenanalyse-Tool verknüpft werden. Er übersetzt die Angaben der Forschenden in einen Computer-Code, das Programm startet mit den Berechnungen, und am Ende liefert das System die Ergebnisse. „In der Forschung fallen so viele Daten an, dass es einfach nicht genug Bioinformatiker*innen gibt, um sie alle zu analysieren“, sagt Altuna Akalin. „Das System soll Forschende in die Lage versetzen, ihre Daten selbst auszuwerten. Und es soll Bioinformatiker*innen ermöglichen, effizienter zu arbeiten, indem sie mehrere Analysen gleichzeitig fahren können.“
Dr. Zsuzsanna Izsvák: Gene in einen sicheren Hafen lotsen
Das Sleeping-Beauty-Transposon-System kann zum Einfügen von DNA-Schnipseln in die Zell-DNA verwendet werden und ist billiger in der Herstellung als virale Gen-Shuttles.
Ende der 90-er Jahre hat sie die Sleeping-Beauty-Technologie erfunden, nun will Dr. Zsuzsanna Izsvák die Methode weiterentwickeln. Sleeping Beauty ist ein künstliches Transposon, ein springendes Gen, das seine Position im Genom verändern kann. Seine Fähigkeit, sich ins Genom zu integrieren, lässt sich für den Gentransfer nutzen – etwa, wenn für Gentherapien ein therapeutisches Gen in Patient*innenzellen übertragen wird, oder bei Immuntherapien gegen Krebs, bei denen patienteneigene Immunzellen mit einem künstlichen Rezeptor (CAR = chimärer Antigenrezeptor) verstärkt werden, sodass sie Tumorzellen besser aufspüren und bekämpfen können. Zsuzsanna Izsvák arbeitet auch daran, Sleeping Beauty für die Therapie der altersbedingten Makuladegeneration einzusetzen. Eine klinische Studie dazu soll noch in diesem Jahr starten.
„Das Sleeping-Beauty-Transposon-System kann zum Einfügen von DNA-Schnipseln in die Zell-DNA verwendet werden und ist billiger in der Herstellung als virale Gen-Shuttles“, sagt Zsuzsanna Izsvák, „außerdem ist es einfacher zu handhaben und sicherer – ein echter Konkurrent für virale Vektoren.“ Im BOOST-Projekt will die Forscherin daran arbeiten, den Gentransfer sicherer zu machen. Dafür sucht sie nach geeigneten Regionen im Genom, in die das Therapie-Gen eingeschleust werden kann. In einem solchen „sicheren Hafen“ dürfen keine anderen Aktivitäten stattfinden, sodass die Wirtsgene nicht gestört werden und das therapeutische Gen gut exprimiert wird. „Eine echte Herausforderung“, sagt die Forscherin. „Um eine gute Genexpression zu erreichen, werden Promotoren (das sind DNA-Abschnitte, die die Genexpression steuern) eingesetzt. Das kann das System überlasten, Stressreaktionen auslösen und das Transkriptom der Zelle komplett verändern – ein echtes biologisches Sicherheitsproblem.“ Um dieses Problem zu umschiffen, will die Forscherin eine Art Navigationshilfe erarbeiten, mit deren Hilfe Sleeping Beauty einen „sicheren Hafen“ ansteuern kann.
Sprung vom Labor in die Klinik
Mit seinem zweiten Programm Pre-GoBio fördert das Max Delbrück Center Projekte, die das Potenzial haben, den Sprung vom Labor in die Anwendung zu schaffen. „Unsere Grundlagenforscher*innen wollen Erkenntnisse über die molekularen Mechanismen von Gesundheit und Krankheit gewinnen“, sagt Daniel Romaker. „Zunächst haben sie dabei nicht immer eine konkrete Anwendungsmöglichkeit im Kopf. Das übergeordnete Ziel der Forschung am Max Delbrück Center ist es jedoch, Medikamente und Technologien zu entwickeln, mit denen Patient*innen geholfen werden kann.“ Die Innovations- und Technologiemanager*innen halten deshalb Ausschau nach Projekten, denen ein gewisser Marktwert innewohnt. „Das sind Forschungsergebnisse, die dazu beitragen könnten, einen medizinischen Bedarf zu decken, etwa indem sie neue Therapieoptionen für Krankheiten in Aussicht stellen, die bislang nicht oder nur schwer behandelbar sind“, erläutert Romaker.
Wer eine Pre-GoBio-Förderung erhält, darüber entscheidet – wie bei der BOOST-Förderung – ein Expert*innengremium, dem die Antragsteller*innen ihre Forschung in kurzen Vorträgen schmackhaft machen müssen. Die Jury wählt daraus zwei Projekte aus, die für bis zu drei Jahren je 450.000 Euro erhalten. Nach Ablauf von 18 Monaten wird der Fortschritt des Projekts begutachtet, bevor die Förderung im dritten Jahr fortgeführt wird. In einem Workshop wird schließlich evaluiert, wie sich das Ganze entwickelt hat; eventuell gibt es dann noch einmal eine Finanzspritze in Höhe von 150.000 Euro für ein weiteres Jahr. 2023 fiel die Wahl auf ein Projekt von Professor Markus Landthaler, der die Gruppe „RNA Biologie und Posttranscriptionale Regulation“ leitet, und auf Professor Gary Lewin, Leiter der Gruppe „Molekulare Physiologie der somatosensorischen Wahrnehmung“.
Professor Markus Landthaler: Der Protein-Booster
Biopharmazeutika, auch Biologika genannt, sind biotechnologisch hergestellte Arzneimittel, mit denen schwerwiegende Erkrankungen wie Krebs, Rheuma oder Multiple Sklerose behandelt werden können. Ihre Herstellung ist sehr komplex: Sie werden unter anderem aus gentechnisch veränderten Säugetierzellen gewonnen. Zu den am häufigsten eingesetzten Wirtszellsystemen gehören CHO-Zellen (Chinese Hamster Ovary), das sind Zellen aus einer unsterblich gemachten Zelllinie, die von einem Chinesischen Zwerghamster abstammen.
Es ist uns gelungen, die CHO-Zellen so zu verändern, dass sie mehr therapeutisch interessante Proteine herstellen können.
„CHO-Zellen sind bevorzugte Objekte für die Herstellung von therapeutischen Proteinen geworden, weil sie in großen Zellkulturen gehalten werden können, dort zu hoher Dichte heranwachsen und relativ einfach genetisch verändert werden können“, erläutert Professor Markus Landthaler. „Sie liefern verlässlich und effektiv Proteine und bleiben dabei stabil.“ Allerdings ist dieser Prozess sehr zeit- und arbeitsintensiv. Markus Landthaler hatte eine Idee, wie er die Produktion dieser Biologika ankurbeln könnte. „Es ist uns gelungen, die CHO-Zellen so zu verändern, dass sie mehr therapeutisch interessante Proteine herstellen können“, sagt der Forscher. Dafür haben die Wissenschaftler*innen dafür gesorgt, dass ein bestimmtes Protein in den CHO-Zellen exprimiert wird, welches wiederum dafür sorgt, dass die Produktion von gewünschten therapeutischen Proteinen gesteigert wird.
„Dieses Projekt ist ein Paradebeispiel für eine erfolgreiche institutionelle Förderung“, sagt Daniel Romaker. Mit BOOST-Mitteln hat Markus Landthaler die ersten Versuche gestartet; die erfolgreiche Methode zur Umprogrammierung der CHO-Zellen wurde im vergangenen Jahr zum Patent angemeldet; und das Pre-GoBio-Geld hilft nun beim letzten Schliff. „Wenn alles klappt, wird die Produktionskapazität der CHO-Zellen um ein Vielfaches gesteigert“, so Romaker. „Das würde die Herstellung biologischer Arzneimittel auf eine völlig neue Ebene katapultieren. Darauf wartet die Pharmaindustrie schon lange.“ Parallel zu Pre-GoBio erhält Markus Landthaler eine Förderung aus dem Impuls- und Vernetzungsfonds der Helmholtz-Gemeinschaft , mit der er das Ganze unter Industriebedingungen testen und belegen will, dass die Methode auch für die Herstellung von Antikörpern geeignet ist.
Professor Gary Lewin schaltet den Schmerz ab
Wenn es uns gelingt, diesen Ionenkanal zu blockieren, dann könnten wir Patient*innen helfen, die an chronischen Schmerzen leiden.
Ionenkanäle sind Proteine, die Poren an Zellmembranen bilden und elektrisch geladenen Teilchen auf diese Weise ermöglichen, die Membranen zu passieren. Deswegen werden sie auch Kanalproteine genannt. Bei der Untersuchung von Melanomzellen hat die Gruppe von Professor Gary Lewin einen bis dato unbekannten Ionenkanal entdeckt. Bei Versuchen am Mausmodell konnten Dr. Sampurna Chakrabarti und Dr. Alice Rossi aus dem Team zeigen, dass dieser Ionenkanal maßgeblich dafür verantwortlich ist, wie empfindlich Tast- und Schmerzrezeptoren sind. Gemeinsam haben sie den Antrag für das Projekt eingereicht. „Das heißt: Wenn es uns gelingt, diesen Ionenkanal zu blockieren, dann könnten wir Patient*innen helfen, die an chronischen Schmerzen leiden“, sagt Gary Lewin. Sein Team plant deshalb ein Medikamenten-Screening, in der Hoffnung, auf ein Molekül zu stoßen, das den Ionenkanal ausschaltet und so Schmerzen lindert.
Netzwerken mit und ohne Pizza
Die Abteilung Technologietransfer steht den Wissenschaftler*innen nicht nur mit Rat, Tat und Geld zu Seite – sie fördert auch Netzwerke und den gegenseitigen Austausch unter den Forschenden. Dazu werden beispielsweise einmal im Monat die Wissenschaftler*innen zu einem „Meet-and-eat“ eingeladen. „Vor Corona haben wir uns dafür zum Pizza-Essen getroffen“, erzählt Romakers Kollegin Dr. Antonia Klein, „momentan finden die Treffen jedoch noch immer online statt.“ Die Pizza müssen sich die Wissenschaftler*innen dafür zwar selbst besorgen – aber es können mehr daran teilnehmen.
Text: Jana Ehrhardt-Joswig