Ein Zellatlas für Kinderherzen
Angeborene Herzfehler, Herzmuskelentzündungen oder -veränderungen sind eine der Ursachen von Todesfällen im Kindesalter. Das Wissen über die molekularen Mechanismen in Herzkrankheiten in jungen Jahren ist jedoch noch sehr begrenzt, da es kaum Referenzdaten für die normale postnatale Herzentwicklung bei gesunden Kindern gibt. Diese Lücke sollen jetzt Einzelzelluntersuchungen an gesundem Herzgewebe von Säuglingen und Teenagern schließen. Die Chan Zuckerberg Initiative (CZI) fördert das internationale Kooperationsprojekt von Forscher*innen und Kinderärzt*innen mit insgesamt 33 Millionen Dollar. Davon fließen 1,75 Millionen Dollar an das Team um Professor Christine Seidman von der Harvard Medical School (HMS) in Boston und um Professor Norbert Hübner am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) in Berlin.
Kinderherzen schlagen anders
Wir freuen uns sehr, dass die Chan Zuckerberg Initiative unser internationales Team auch bei diesem Projekt unterstützt.
Nicht nur von der Größe her unterscheidet sich das Kinderherz massiv von dem eines Erwachsenen. „Im ersten Lebensjahr gibt es bereits eine ganze Reihe von Veränderungen – angefangen damit, dass der Säugling nach der Geburt beginnt, Luft einzuatmen“, erklärt Dr. Henrike Maatz, Wissenschaftlerin im Team von Professor Norbert Hübner am MDC. Dadurch verändert sich die gesamte Zirkulation, und das Herz ist einem anderen Blutdruck ausgesetzt. Kinderherzen schlagen zudem schneller: Während die Herzfrequenz eines Erwachsenen etwa bei ruhigen 70 Schlägen pro Minute liegt, sind es bei Kindern im Schnitt 100, bei Säuglingen sogar 130. Die Forschenden interessiert außerdem, was mit dem Herz in der Pubertät passiert.
„Wir freuen uns deshalb sehr, dass die Chan Zuckerberg Initiative unser internationales Team auch bei diesem Projekt unterstützt“, sagt Professor Norbert Hübner, Leiter der MDC- Arbeitsgruppe „Genetik und Genomik von Herz-Kreislauferkrankungen“. Insgesamt werden 17 CZI Pediatric Networks for a Human Cell Atlas aus 15 verschiedenen Ländern gefördert. Zum Netzwerk um Christine Seidman und Norbert Hübner gehören neben deren Laboren an der Harvard Medical School und am MDC auch Molekularbiolog*innen und Ärzt*innen des Imperial College (London), der Universitäten Chicago, Kentucky und Alberta (Kanada) sowie der Ruhr-Universität Bochum und des Helmholtz Zentrums München.
Human Cell Atlas wird um pädiatrische Einzelzelldaten erweitert
CZI wurde 2015 von Mark Zuckerberg und Priscilla Chan mit dem Ziel ins Leben gerufen, zur Lösung einiger der größten gesellschaftlichen Herausforderungen beizutragen: Krankheiten auszurotten, die Bildung zu verbessern und die Bedürfnisse lokaler Gemeinschaften zu erfüllen.
Sie unterstützt Projekte im Bereich Bildung und Wissenschaft. Die CZI Pediatric Networks werden gesunde pädiatrische Einzelzell-Referenzdaten zum Herzzellatlas beisteuern. Der Atlas der Herzzellen ist Teil des internationalen Großprojekts „Human Cell Atlas“.. „Einzelzelltechnologien haben ein unglaubliches Potenzial, wissenschaftliche Erkenntnisse zu beschleunigen, wenn Forschende verstehen wollen, wie Zellen und Organe reifen und mit pädiatrischen Krankheiten zusammenhängen“, sagt Jonah Cool, CZI Science Program Officer für Einzelzellbiologie. „Wir freuen uns, die Teams des CZI Pediatric Networks for a Human Cell Atlas in unserer Stipendiaten-Gemeinschaft willkommen zu heißen.“
Geschlechtliche Unterschiede
Für den adulten Herzzellatlas konnten die Wissenschaftler*innen bereits mehr als 500.000 Einzelzellen und Zellkerne aus unterschiedlichen Herzregionen von Erwachsenen isolieren und analysieren. Das Herzgewebe muss zunächst vorsichtig in einzelne Zellen zerlegt und dann zusammen mit den nötigen Reagenzien in kleine Tropfen verpackt werden, um deren RNA in einem Hochdurchsatzverfahren sequenzieren zu können. „So sehen wir, welche Gene in der Zelle aktiv waren und können aus dem Expressionsprofil ablesen, um welchen Zelltyp es sich handelt: eine Herzmuskelzelle (Kardiomyozyt), eine Bindegewebszelle (Fibroblast) oder eine Endothelzelle, welche ein Blutgefäß ausgekleidet hat“, erklärt Henrike Maatz.
Bei der Untersuchung von Zellen aus rechten und linken Herzkammern, Vorhöfen, der Herzspitze sowie dem Ventrikelseptum, also der Trennwand zwischen den Herzkammern, entdeckten Forschende bereits viel Neues. „Wir haben gesehen, dass es von allen bekannten Zelltypen des Herzens zahlreiche Subtypen gibt, die wahrscheinlich ganz unterschiedliche Funktionen haben“, sagt Henrike Maatz. Zudem gibt es deutliche Geschlechtsunterschiede: Die Herzkammern von Frauen bestehen aus mehr Muskel- und weniger Bindegewebszelle als die der Männer. Das könnte erklären, warum Frauen seltener an Herz-Kreiserkrankungen leiden.
Neues Wissen für neue Therapien
„Neben altersspezifischen Unterschieden werden wir uns nun auch bei den Kinderherzen geschlechtsspezifische Unterschiede ansehen sowie die ethnische Diversität“, betont Norbert Hübner. Das Projektteam wird vergleichend Gewebeproben mit europäischem, afro-amerikanischem und asiatischem Hintergrund untersuchen.
Wir haben gesehen, dass es von allen bekannten Zelltypen des Herzens zahlreiche Subtypen gibt, die wahrscheinlich ganz unterschiedliche Funktionen haben.
Zusätzlich zu den Einzelzellen soll auch die Genexpression von Gewebeschnitten hochaufgelöst analysiert werden. Denn um zu verstehen, wie Zellen miteinander agieren, müssen die Forschenden genauer bestimmen, wie sie räumlich zueinander angeordnet sind. „Diese Erkenntnisse brauchen wir, wenn wir später an kranken Herzen untersuchen werden, was in der Zellkommunikation schiefgelaufen ist. Zum Beispiel, wenn bei einer Fibrose vermehrt Bindegewebe gebildet wird und dadurch eine Herzkammer versteift“, erklärt Henrike Maatz. Dieses Wissen könnte auch zu neuen Therapien beitragen. Denn wenn im kranken Herzen plötzlich Subtypen innerhalb der Zellpopulation dominant werden, die bei gesunden Herzen kaum in Erscheinung treten, sind dies perfekte Angriffspunkte für neue, hochspezifische Wirkstoffe.
Text: Catarina Pietschmann
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Menschliche Herzmuskelzelle die aus induzierten pluripotenten Zellen (hIPSCs) hergestellt wurde. Foto: Sebastian Diecke, MDC
Kontakte
Prof. Dr. Norbert Hühner
AG Genetik und Genomik von Herz-Kreislauferkrankungen
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
+49 30 9406 2530
nhuebner@mdc-berlin.de
Jana Ehrhardt-Joswig
Redakteurin, Abteilung Kommunikation
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
+49 30 9406-2118
jana.ehrhardt-Joswig@mdc-berlin.de oder presse@mdc-berlin.de
- Über die Chan Zuckerberg Initiative
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Die Chan Zuckerberg Initiative wurde 2015 gegründet, um zur Lösung einiger der größten gesellschaftlichen Herausforderungen beizutragen – von der Ausrottung von Krankheiten über die Verbesserung der Bildung bis hin zu den Bedürfnissen lokaler Gemeinschaften. Ihr Ziel ist es, eine integrativere, gerechtere und gesündere Zukunft für alle zu schaffen. Für weitere Informationen besuchen Sie bitte www.chanzuckerberg.com.
- Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)
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Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den MDC-Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 60 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organübergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das MDC fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am MDC arbeiten 1600 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete MDC zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.