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Michael Blaese: Gentherapie kann Nutzen haben - noch jahrzehntelange Forschung nötig

Neue Strategie mit Blutstammzellen aus der Nabelschnur

Nach Auffassung des Gentherapeuten Dr. Michael Blaese von den Ame­rikanischen Gesundheitsinstituten der USA (NIH, Bethesda) „kann die Gentherapie für einige Patienten, die an der angeborenen Immun­schwäche ADA leiden, von Nutzen sein“. In einer Pressekonferenz im Rahmen des 4. Gentherapie-Symposiums im MAX-DELBRÜCK-CENTRUM FÜR MOLEKULARE MEDIZIN (MDC) BERLIN-BUCH (Freitag den 19. April) betonte Dr. Blaese mit Blick auf eine Ende vergangenen Jahres von den NIH veröffentlichten kritischen Bestandsaufnahme der bisherigen Stu­dien zur Gentherapie: „Es bedarf jedoch noch jahrzehntelanger For­schung, bis die Möglichkeiten, die in der Gentherapie stecken, umge­setzt werden können in die klinische Praxis. Wir müssen das Gleichge­wicht finden zwischen unserer Begeisterung und der Realität einer noch immer begrenzten Technologie.“ Dr. Blaese gehört zu den Pionieren der Gentherapie. Er hatte im September 1990 den ersten klinischen Ver­such mit zwei an der ADA-Immunschwäche erkrankten Kindern be­gonnen. Inzwischen werden nach seinen Worten noch elf Kinder mit diesem Erbleiden gentherapeutisch behandelt. Um eine anhaltende Wirkung zu erzielen, sollen statt reifer Immunzellen künftig deren Vorläufer, die Blutstammzellen, gentherapeutisch verändert werden. Einen ersten Schritt ist Dr. Blaese auf diesem Wege gegangen. Er ge­wann aus der Nabelschnur von Neugeborenen, die an ADA erkrankt sind, Stammzellen, die er gentherapeutisch veränderte und den Babies zurückgab.

Die ADA-Immunschwäche ist eine seltene angeborene Erkrankung, die bestimmte Zellen des Immunsystems (T- und B-Zellen) schädigt. Die Zellen der erkrankten Kinder können auf Grund eines defekten Gens das Enzym Adenosin-Deaminase (ADA) nicht mehr bilden, das bestimmte Stoffwech­selprodukte, die für den Organismus schädlich sind, abbaut. Fehlt das En­zym ADA, reichern sich Schadstoffe im Körper an, die insbesondere die Immunzellen schädigen. Unbehandelt führt diese Erkrankung zum Tod der betroffenen Kinder, da ihr Immunsystem selbst harmlose Infektionen, wie Schnupfen oder Grippe nicht bekämpfen kann. Das fehlende Enzym wird bisher durch einen aus Rinderserum gewonnenen Stoff (PEG-ADA) ersetzt. Dadurch wird das Leben der erkrankten Kinder gerettet, das Leiden aber nicht geheilt. Zudem gelingt es nicht in jedem Fall, das Immunsystem mit dem Medikament voll funktionsfähig zu machen. Das Ziel ist es deshalb, diese Erkrankung an der Wurzel anzugehen - in der Erbsubstanz (DNA) der geschädigten Zellen.

Vor über fünf Jahren begann Dr. Blaese die Gentherapie bei zwei Mädchen, damals vier bzw. neun Jahre alt, die an dieser ererbten Schwäche des Im­munsystem leiden. Mit Hilfe eines entschärften Retrovirus wurden im Labor weiße Blutzellen (T-Zellen) der beiden Patientinnen mit dem gesunden Gen für das Enzym ADA bestückt. In einem Zeitraum von zwei Jahren erhielten sie bis zu zwölf Infusionen mit den genetisch veränderten weißen Blutzel­len. Sie wurden außerdem mit dem Medikament PEG-ADA behandelt, das bei einem der beiden Mädchen im Lauf der Therapie um mehr als die Hälfte reduziert werden konnte. Die Senkung der PEG-ADA-Dosis bei Patienten, die keine Gentherapie erhielten, führte dagegen zu einer Schwächung des Im­munsystems. Dr. Blaese wies darauf hin, daß die T-Zellen eines der beiden gentherapeutisch behandelten Mäd­chen bis heute das ADA-Gen anschalten und das Enzym produzieren, ob­wohl die Gentherapie nach zwei Jahren eingestellt wurde. Eines der beiden Mädchen hat nach seiner Aussage von der Gentherapie profitiert. Weniger eindeutig sei das Ergebnis bei dem zweiten gentherapeutisch behandelten Kind. Die Zahl der gentechnisch ver­änderten T-Zellen sei bei dem ersten Kind höher als bei dem zweiten. Beide Kinder, inzwischen neun bzw. 14 Jahre alt, können re­gelmäßig die Schule besuchen.

Die Versuche zeigten außerdem, daß die Lebensdauer der genetisch verän­derten T-Zellen im Organismus länger war als erwartet. Dr. Blaese betonte, daß keinesfalls geplant sei, die zusätzliche Gabe von PEG-ADA bei den beiden Patientinnen abzusetzen, da man kein Risiko eingehen wolle. Wis­senschaftler und Ärzte brauchten bessere Informationen über diese „Gentherapie-Versuche der ersten Generation“, bekräftigte Dr. Blaese. Dazu gehöre auch, die Rolle, die PEG-ADA bei der Behandlung spiele, genauer zu erforschen.

Trotz dieser Ergebnisse mit reifen T-Zellen, deren Lebensdauer begrenzt ist, bleibt das große Ziel der Gentherapeuten, Blutstammzellen für die Genthe­rapie einzusetzen, um einen anhaltenden Erfolg zu erzielen. Stamm­zellen sind die Vorläuferzellen aller Blutzellen. Die Anzahl der Blutstamm­zellen ist allerdings gering. Sie werden entweder aus dem Knochenmark oder aus dem peripheren Blut isoliert. Erst kürzlich hat sich gezeigt, daß Stammzel­len auch aus dem Blut der Nabelschnur von Neugeborenen gewonnen wer­den können.

1993 behandelte Dr. Blaese drei Neugeborene, die mit der ADA-Immun­schwäche zur Welt gekommen waren, mit Stammzellen, die er aus ihrer Nabelschnur isoliert und im Labor mit dem ADA-Gen beladen hatte. Die Babies erhielten außerdem PEG-ADA, die Dosis wurde aber nach Aussage von Dr. Blaese um die Hälfte reduziert. Die genetisch veränderten Blut­stammzellen bringen bis heute ADA-produzierende Blutzellen aller Immun­zellenarten hervor, sagte er. PEG-ADA soll jedoch abgesetzt werden, um festzustellen, ob die genetisch veränderten Zellen tatsächlich einen Wachs­tumsvorteil haben.

Zur Frage der Sicherheit der bei der Gentherapie eingesetzten retroviralen Vektoren zum Gentransfer, räumte Dr. Blaese ein, daß sich Gentherapeuten wegen des „theoretischen Risikos“ sorgen, daß Retroviren, obwohl sie inak­tiviert werden, bevor sie als Genfähren dienen, möglicherweise Krebs auslö­sen können. Bis heute gebe es darauf jedoch keinen Hinweis, betonte er. „Wenn man die Schwere der Erkankung in Betracht zieht, die gentherapeu­tisch behandelt wird und die Komplikationen bedenkt, die mit anderen The­rapieformen verbunden sind, dann haben Retroviren einen ex­zellenten Sicherheitsstatus“, sagte er.

Mit Blick auf die von den NIH im Dezember 1995 veröffentlichte Bestands­aufnahme der bisherigen Gentherapiestudien, in der den Gentherapeuten vorgeworfen wurde, zu hohe Erwartungen in der Öffentlichkeit geweckt zu haben, und auf die Frage, ob die Gentherapie zu früh bei Patienten einge­setzt worden sei, sagte Dr. Blaese: „Wir müssen unsere Strategien nicht ändern. Wir müssen die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, daß wir mehr Grundlagenforschung brauchen. Das ist keineswegs eine neue Politik. Dieses neue Feld der Gentherapie birgt in sich ein großes Potential, viele Geißeln der Menschheit zu behandeln - aber - es bedarf noch jahrzehntelan­ger Forschung, bis diese Möglichkeiten genutzt werden können. Wir müssen ein Gleichgewicht finden zwischen unserer Begeisterung und der Realität einer noch immer begrenzten Technologie.“

 

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