Cholesterin lässt Nervenzellen Kontakte knüpfen
Diese Entdeckung, die für die Funktion des Nervensystems von entscheidender Bedeutung ist, haben Wissenschaftler des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch mit einer gemeinsamen Nachwuchsgruppe der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und des Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) am Centre de Neurochimie in Strasbourg/Frankreich gemacht. Die Forschungsergebnisse der Neurobiologen Daniela Mauch und Dr. Frank Pfrieger hat jetzt das renommierte amerikanische Wissenschaftsmagazin Science* (Vol. 294, Nr. 5545, pp. 1354-1357) veröffentlicht. Cholesterin wird von Gliazellen gebildet, die einen Großteil des Hirngewebes ausmachen und seine Entwicklung und Funktion in vielfältiger Weise unterstützen. Die Ergebnisse der Forscher werfen ein völlig neues Licht auf die Rolle von Cholesterin. Sie deuten darauf hin, dass der Cholesterin-Stoffwechsel im Zentralnervensystem (ZNS) die Gehirnentwicklung sowie dessen Lern- und Erinnerungsfähigkeit beeinflusst. Sie liefern auch neue Ansatzpunkte für die neurobiologische Forschung und für die Entwicklung von Strategien zum Beispiel zur Behandlung von Rückenmarksverletzungen oder krankheitsbedingten Störungen der Hirnfunktion, wie etwa der Alzheimer Krankheit.
Die Funktion des Nervensystems beruht auf dem Austausch elektrischer Signale zwischen Nervenzellen, der über hochspezialisierte Kontaktstellen, so genannte Synapsen, vermittelt wird. Der Aufbau synaptischer Verbindungen ist daher ein entscheidender Schritt während der Entwicklung des Nervensystems im heranwachsenden Organismus. Er spielt zudem eine wichtige Rolle bei Lernvorgängen und bei der Gedächtnisbildung. Bisher lagen die Mechanismen dieses grundlegenden biologischen Vorgangs weitgehend im Dunkeln.
Einen ersten Hinweis auf die Existenz eines Faktors, der die Synapsenbildung fördert, hatte Dr. Pfrieger vor einigen Jahren zusammen mit Prof. Ben Barres an der Stanford Universität in Palo Alto in den USA erhalten. Die Forscher untersuchten, ob Neurone allein Kontakte knüpfen können oder ob sie dafür die Hilfe von Gliazellen benötigen. Sie fanden heraus, dass isolierte Nervenzellen in Kulturschalen ohne Gliazellen zwar überleben und auswachsen, aber nur wenige von Synapsen erzeugte elektrische Signale zeigen. Die Zugabe eines von Gliazellen freigesetzten, jedoch noch nicht identifizierten Faktors, führte hingegen zu einer starken Erhöhung der synaptischen Aktivität. Diese Ergebnisse deuteten erstmals darauf hin, dass Gliazellen eine Rolle bei der Synapsenbildung spielen könnten. Vor einigen Monaten konnten die beiden Forscher unabhängig voneinander - Dr. Pfrieger leitete inzwischen eine eigene Forschungsgruppe am MDC - zeigen, dass der Faktor aus Gliazellen tatsächlich die Synapsenbildung stark fördert. Mit Hilfe proteinbiochemischer Methoden gelang es Dr. Pfrieger und seinen Mitarbeitern jetzt, diesen Gliazellfaktor als Cholesterin zu identifizieren.
Cholesterin ist ein essentieller Baustein jener dünnen Fettschicht, welche jede Zelle des Körpers umhüllt. Möglicherweise bestimmt die Verfügbarkeit von Cholesterin im Gehirn das Ausmaß der Synapsenbildung. Das würde bedeuten, dass Störungen im Cholesterinstoffwechsel die Entwicklung und bestimmte Funktionen des Gehirns beeinträchtigen könnten. Nervenzellen scheinen selbst genügend Cholesterin zu produzieren, um zu überleben und zu wachsen, aber zu wenig, um eine ausreichende Zahl synaptischer Kontakte zu knüpfen. Sie sind daher auf die externe Versorgung mit diesem Molekül angewiesen. Das Gehirn kann - im Gegensatz zu allen anderen Organen - den im Blut enthaltenen Vorrat nicht nutzen, da die so genannten Lipoproteine, welche den Transport von Cholesterin und anderen fettlöslichen Stoffen vermitteln, zu groß sind, um die Blut-Hirn Schranke zu passieren. Daher muss es seinen Bedarf an Cholesterin selbst decken. Den neuen Ergebnissen zufolge produzieren Gliazellen Cholesterin im Überschuss und beliefern Nervenzellen mit den für die Synapsenbildung benötigten Mengen. Dieser Zusammenhang würde auf eine völlig neue Rolle der Gliazellen verweisen.
Noch ist jedoch unklar, wie Cholesterin die Synapsenbildung fördert. Dient es als Baustoff für synaptische Komponenten oder wirkt es als Signal, welches bestimmte zelluläre Prozesse in Gang setzt? Weiter stellt sich die Frage, ob Veränderungen des Cholesteringehalts im Gehirn die geistige Entwicklung, die Lernfähigkeit oder die Gedächtnisleistung beeinflussen? Zudem ist bekannt, dass strukturelle Veränderungen im so genannten Apolipoprotein E, einem wichtigen Bestandteil von Lipoproteinen, das Risiko erhöhen, an einer altersbedingten Form von Alzheimer zu erkranken. Geht dies auf eine Unterversorgung der Nervenzellen mit Cholesterin und somit einer verminderten Erneuerung von Synapsen zurück? Diesen Fragen wird Dr. Pfrieger in Zusammenarbeit mit anderen Forschungsgruppen jetzt nachgehen.
CNS Synaptogenesis Promoted by Glia-Derived
Cholesterol
Daniela H. Mauch1, Karl Nägler1,3, Stefan Schumacher4, Christian Göritz1,3, Eva-Christina Müller2, Albrecht Otto2, Frank W. Pfrieger1,3.
1AG Synapsen und 2AG Proteinchemie, MDC für Molekulare Medizin, D-13092 Berlin. 3Max-Planck/CNRS Gruppe, UPR 2356, Centre de Neurochimie, F-67084 Strasbourg, France. 4Institut für Zellbiochemie und Klinische Neurobiologie, Universität Hamburg, D-20246 Hamburg.
Barbara Bachtler
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