Wie sich das Gehirn nach einem Schlaganfall selber hilft
Jeder Herzschlag versorgt den Körper mit lebensnotwendigem sauerstoffreichen Blut. Eine plötzliche Durchblutungsstörung (Ischämie) entzieht den Zellen den nötigen Sauerstoff. Die Folgen eines solchen Schlaganfalls können das Leben des Patienten schwerwiegend verändern: Sprach- und Sehstörungen, Lähmungen, Gefühls- und Schluckstörungen treten abhängig von der geschädigten Region im Gehirn auf. In Deutschland werden jährlich mehr als 200 000 Schlaganfälle gemeldet. Betroffen sind meist ältere Menschen im Alter zwischen 65 und 85 Jahren. Die medizinische Vorsorge hat allerdings zum Rückgang von Schlaganfällen beigetragen. So kann zum Beispiel der Bluthochdruck, der größte Risikofaktor für einen Schlaganfall, heute zeitig behandelt werden. Trotzdem sterben immer noch 20 bis 30 Prozent der Patienten in den ersten vier Wochen nach einem Schlaganfall und ein Drittel der Überlebenden bleibt nach der Behandlung pflegebedürftig.
Über die molekularen und zellulären Ursachen des Schlaganfalls und mögliche Therapieansätze diskutierten am 15. Oktober 2004 Herz-Kreislaufforscher, Neurowissenschaftler und Kliniker auf dem internationalen Symposium „Cardiovascular and Neuronal Basis of Stroke“ im Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch. Mit dem Symposium würdigte das MDC die Arbeit von MDC-Gründungsdirektor Prof. Detlev Ganten und jetzigen Vorstandsvorsitzenden der Charité – Universitätsmedizin Berlin. „Er hat das MDC mit viel Engagement und großer Tatkraft von 1991 bis April 2004 geleitet“, betonten sein Nachfolger Prof. Walter Birchmeier und Dr. Stefan Schwartze (Administrativer Vorstand des MDC). Den anschließenden Empfang am späten Nachmittag hatte Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn eröffnet.
Behandlungsstrategien gegen den Verlust von Nervenzellen – erste Tierversuche
„Bisher ist die Gabe eines Medikaments innerhalb von drei Stunden nach Eintreten der ersten Symptome die einzig wirksame Therapie. Für viele Patienten kommt diese Hilfe jedoch zu spät“, sagte Prof. Ulrich Dirnagl (Charité). Deshalb sucht er mit seiner Arbeitsgruppe nach Behandlungsmöglichkeiten, die zu einem späteren Zeitpunkt der Krankheitsphase wirksam sind. Wie Prof. Dirnagl auf dem Symposium sagte, sterben im Randgebiet des Schlaganfalls auch gesunde Nervenzellen. Diese Zellen begehen Selbstmord, der unter anderem durch die Entzündung des betroffenen Gewebes verursacht wird. Wissenschaftler nennen diesen Vorgang, der Tage dauern kann, „programmierten Zelltod“ oder „Apoptose“.
Ein Ziel der Arbeit von Prof. Dirnagl ist deshalb, das Sterben gesunder Nervenzellen nach einem Schlaganfall einzudämmen. In Tierexperimenten entwickelten er und seine Kollegen bereits Strategien, um hirneigene Schutzmechanismen „anzuschalten“. So leisten die Forscher Hilfe zur Selbsthilfe für das Gehirn, das seine Nervenzellen vor dem Absterben schützen soll. Ein Protein, das sie dabei unterstützt, ist das Erythropoietin. Es wird nicht nur von roten Blutzellen, sondern auch von Hirnzellen produziert und „wirkt gegen die Apoptose von Nervenzellen“, wie Prof. Dirnagl sagte.
Bildgebende Verfahren helfen bei der Rehabilitation
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Bestimmung des genauen Zustands des Gehirns mit bildgebenden Verfahren wie der so genannten funktionellen Magnetresonanztomographie für die Behandlung eines Schlaganfalls wichtig ist. „Seit langem wissen wir“, sagte Prof. Cornelius Weiller (Neurologische Klinik am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, UKE), „dass sich Patienten von einem Schlaganfall erholen, obwohl die Verletzung im Gehirn unverändert bleibt.“ Er wies darauf hin, dass bei Patienten, die wieder sprechen lernen oder Lähmungen überwinden, gesunde Gehirnareale die Funktionen zerstörter Regionen übernehmen. „Je eher ein Patient seine durch den Schlaganfall verlorenen Funktionen wie die Sprache zurückgewinnt, desto schneller hat sich das Gehirn neu organisiert. Durch Training, Rehabilitation oder den Einsatz von Medikamenten können wir es dabei unterstützen“, berichtete Prof. Weiller auf dem Symposium.
Bildgebende Verfahren machen es Forschern sogar möglich, dem Gehirn bei dieser Arbeit zuzusehen. Sie haben herausgefunden, dass sich das Gehirn nach einem Schlaganfall in drei Phasen erholt. Zwar verbessern sich nach einem Schlaganfall die gestörten Funktionen für einige Tage kaum, doch in der zweiten Phase ist das Gehirn in den verbliebenen Gehirnbereichen am Rand der geschädigten Region sowie in der anderen, gesunden Hirnhälfte überdurchschnittlich aktiv. Jetzt bemerkt der Patient selbst, dass sich sein Gehirn erholt, denn langsam gewinnt er seine Sprach- oder Bewegungsfähigkeit zurück. Nach drei bis vier Wochen normalisiert sich die Aktivität der Nervenzellen wieder.
Das Wissen darüber, in welchen Gehirnregionen Nervenzellen nach einem Schlaganfall besonders aktiv sind, soll dabei helfen, Therapien für jeden einzelnen Patienten und dessen Krankheitsphase maßzuschneidern. „Doch die Weiterentwicklung der Therapie ist nur ein Aspekt“, sagte Prof. Weiller weiter. „Patienten am Bildschirm zu zeigen, wie aktiv ihr Gehirn bei der Lösung einer Aufgabe ist, hilft uns, ihnen die Wichtigkeit der Physio- oder Sprachtherapie zu verdeutlichen und sie zu motivieren. Dass das Wiedererlangen der Sprache oder Bewegung keine Frage der Zeit, sondern eine Frage der Übung ist, zeigte ein Patient, bei dem der Schlaganfall bereits 17 Jahre zurück lag. Nach nur zwei Wochen Krankengymnastik hatte sich seine Bewegungsfähigkeit verbessert.“
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