Koala on tree

Kennst du deine Nachbarn?

Unter anderem für molekulare Evolutionsanalysen in der Wildtierforschung hat ein Team des Leibniz-IZWs, des Australischen Museums und des MDC eine Methode zur Identifizierung beliebiger Nachbar- Gensequenzen entwickelt. Die Forscher*innen stellen sie nun in „Methods in Ecology and Evolution“ vor.

Bislang verwendete Ansätze, unbekannte Erbgut-Sequenzen neben kleinen bekannten Fragmenten zu bestimmen, sind fehleranfällig. Die Sequenzierung des gesamten Genoms kann eine Lösung sein, ist aber sehr teuer. Bei der „Sonication Inverse PCR“ (SIP), die Forscher*innen des Leibniz Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), des Australischen Museums und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) entwickelt haben, zerstückeln Ultraschallwellen zuerst das Genom nach dem Zufallsprinzip. Diese Fragmente werden dann mittels Hochdurchsatzsequenzierung der neuesten Generation entschlüsselt. Die Methode kann zur Charakterisierung jeder DNS-Sequenz eingesetzt werden, die in der Nachbarschaft zu einer bekannten Sequenz liegt – unter anderem für genomische Anwendungen in der Klinik oder für molekulare Evolutionsanalysen.

Die bisherigen Methoden reichen nicht

In der Genomforschung sind mehrere Methoden etabliert, die unbekannte Bereiche charakterisieren, die an bekannte Sequenzstücke angrenzen. Ein seit Jahrzehnten häufig genutzter Ansatz ist die inverse PCR. Bisher bekannte Protokolle für diese Methode setzen aber Enzyme zur Fragmentierung ein. Diese suchen ganz bestimmte Andockstellen im Erbgut, weil sie nur dort das Erbgut durchschneiden können, und diese Andockstellen sind unregelmäßig über das Erbgut verteilt. Deshalb können viele Nachbarsequenzen nicht charakterisiert werden. Die vollständige Sequenzierung von Genomen wäre eine Lösung, ist aber ein vergleichsweise aufwändiger und kostenintensiver Prozess. Günstigere Sequenzierverfahren, die kurze Erbgut-Fragmente lesen, werfen weitere Probleme bei der Entschlüsselung sich wiederholender Abschnitte oder in Genomabschnitten mit geringer Komplexität auf.

„Sonication Inverse PCR (SIP) eröffnet nun die Möglichkeit, diese Probleme zu umgehen, indem das Erbgut mithilfe von Ultraschallwellen durchgeschnitten wird“, sagt Professor Alex Greenwood vom Leibniz-IZW. „Das Erbgut wird so nach dem Zufallsprinzip zerlegt. Anschließend werden die gewonnenen Fragmente kreisförmig angeordnet und mittels inverser PCR angereichert.“ Durch den Einsatz der Lange-Fragment-Sequenzierung auf der „PacBio RS II“-Sequenzierungsplattform des MDC gelang es den Autoren*innen, bis zu 6.000 Basenpaare lange Sequenzen zu produzieren und im Hochdurchsatzverfahren zu sequenzieren.

Getestet mit dem Koala-Retrovirus

Das neue Verfahren wurde in einem komplexen System getestet, dem Koalaretrovirus (KoRV). Dieses Virus ist mit vielen Kopien im Erbgut des Koalabären (Phascolarctos cinereus) zu finden. Durch das Anvisieren eines kleinen bekannten Virusfragments an den Enden des Virusgenoms konnten die Wissenschaftler*innen das komplette Spektrum viraler Eintrittsstellen in das Wirtsgenom aufdecken. Sie verglichen die so gewonnenen Informationen mit einem Referenzgenom, um alle Integrationsstellen des Virus im Wirtsgenom zu kartieren. „Durch den Einsatz dieses Verfahrens konnten wir einen bis dahin nicht bekannten Abwehrmechanismus von Koalabären gegen bestimmte Viren entdecken“, sagt Dr. Ulrike Löber.

„SIP ist vergleichsweise kostengünstig, ermöglicht eine hohe Auflösung und kann gleichzeitig für mehrere Proben eingesetzt werden“, ergänzt Dr. David Alquezar, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter des Leibniz-IZW und aktuell am Nationalen Australischen Museum tätig. Die Wissenschaftler*innen wenden das Verfahren nun an, um weitere Fragestellungen zu beantworten. Ein Beispiel ist, wie Viren Genome beeinflussen und Krankheiten auslösen.

Text: Leibniz IZW

 

Weitere Informationen

Literatur

Alquezar‐Planas, David et al. (2020): „DNA Sonication Inverse PCR for genome scale analysis of uncharacterized flanking sequences“. In: Methods in Ecology and Evolution. DOI: 10.1111/2041-210X.13497

Löber, Ulrike et al. (2018): „Degradation and remobilization of endogenous retroviruses by recombination during the earliest stages of a germ-line invasion“. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. DOI: 10.1073/pnas.1807598115

Kontakte

Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
Alfred-Kowalke-Straße 17
10315 Berlin, Deutschland

Jan Zwilling
Wissenschaftskommunikation
Tel: +49 (0)30 5168121
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