ImmunoPreCept: „Wir möchten die Medizin umkrempeln“
Was ist die Idee hinter Ihrem Cluster?
Siegmund: Wir möchten die Medizin umkrempeln.
Das klingt groß.
Siegmund: Ist es auch. Aktuell denken wir im Kontext von Medizin vor allem an Krankheiten und wie wir krankheitstreibende Signalwege unterbrechen können, um eine bestimmte Erkrankung zu behandeln. Nach unserem Verständnis ist das der falsche Ansatz. In „ImmunoPreCept“ wollen wir schon die Phase betrachten, die vor einer Erkrankung liegt, und der Frage nachgehen: Warum werden wir überhaupt krank?
Sie fokussieren sich auf Krankheitsstadien, in denen noch nicht zwingend Symptome auftauchen?
Rajewsky: Ja – dafür gibt es einen riesigen Bedarf in einem Land mit alternder Bevölkerung. Die meisten chronischen Leiden bahnen sich über Jahrzehnte an bis sie symptomatisch werden. Wenn wir solche Krankheiten gleich zu Beginn aufspüren, bleiben die Menschen länger gesund.
Diefenbach: Wir möchten herausfinden, was uns gesund hält – auf zellulärer und molekularer Ebene – und so ganz grundsätzlich verstehen, was Personen, die nicht krank werden, schützt. Was macht sie resilienter? Symptome bedeuten immer auch, dass schon etwas geschädigt ist. Wir untersuchen, wie wir präventiv vorgehen oder eine Erkrankung sehr früh abfangen können.
Welche Krankheiten stehen bei Ihnen im Fokus?
Siegmund: Chronisch-entzündliche Erkrankungen wie Rheumatoide Arthritis oder Morbus Crohn und Krebserkrankungen. Bei beiden spielen Fehlfunktionen unseres Immunsystems eine Rolle. Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass Mechanismen aus der Immunologie an vielen chronischen Erkrankungen beteiligt sind.
Daher das „Immuno“ im Namen. Wofür steht das „PreCept“?
Diefenbach: Das „Pre“ für „Prevention“ – Prävention. „Cept“ kommt von dem Begriff „interception“ – also das Bemühen, Krankheiten schon früh abzufangen, so dass gar nicht erst starke Symptome entstehen. Damit das gelingt, müssen wir auf die Ebene der einzelnen Zellen schauen.
Rajewsky: Eine Zelle greift immer wieder auf Anweisungen in ihrem Erbgut zurück. So weiß sie, wie sie auf äußere Einflüsse reagieren soll. Mit Einzelzell-Technologien können wir sie dabei in einer Auflösung beobachten, die wir vor zehn Jahren noch gar nicht kannten. Zum Zusammenspiel, das das Entstehen einer Krankheit befeuert, gehören außerdem die räumlichen Beziehungen von Zellen im Gewebe. Wer ist benachbart, wer spricht mit wem? Da sind Immunzellen zentral. Doch hier bleiben wir nicht stehen: Wir wollen mit KI-Modellen den Verlauf vorhersagen und so präzise Eingriffe ermöglichen.
Sie untersuchen die Übergänge zwischen Gesundheit und Krankheit. Wie lässt sich diese komplexe Thematik erforschen?
Siegmund: Wir haben drei Kernbereiche: Im ersten Bereich möchten wir ergründen, welche molekularen Mechanismen zur Erhaltung der Gesundheit beitragen. Im zweiten Bereich geht es um die spezifische Schnittstelle von gesund zu krank, also wie Störungen des Immunsystems zu Krankheiten führen. Der dritte Bereich beschäftigt sich mit der Remission. Das sind Ruhephasen bei Patienten, deren Erkrankung behandelt wurde und unter Kontrolle ist. Sie sind aber nicht gesund. Wir untersuchen, was diese Ruhephase vom wirklich gesunden Zustand unterscheidet und wie wir solche Remissionsphasen verbessern können.
Diefenbach: Das Ganze wird flankiert von zwei Querschnittsprogrammen. Das erste ist eine Plattform zur sogenannten Immunphänotypisierung, gemeinsam mit dem Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin – einem unserer zentralen Partner. Hier wird Blut sehr genau charakterisiert, um Muster ableiten zu können. Damit kann zum Beispiel vorhergesagt werden, ob Patientinnen und Patienten, die ein Risiko haben, eine Rheumatoide Arthritis zu entwickeln, krank werden oder nicht.
Siegmund: Das zweite Querschnittsprogramm ist ein Herzstück für uns. Wir können das Ganze wissenschaftlich auf Top-Niveau untersuchen, aber das reicht uns nicht. Wir möchten unser Verständnis von Gesundheit ganzheitlich revolutionieren und diese neue Denkweise auch auf gesellschaftlicher Ebene anstoßen.
Sie sprechen das Berliner Forum für Wissenschaft mit der Gesellschaft an, das Sie gründen möchten. Was hat es damit auf sich?
Rajewsky: Es ist wie ein Think Tank aus Expertinnen, Bürgern und politischen Akteuren. Wir wollen ein Bewusstsein für Präzisionsprävention etablieren und dafür einen Prozess starten, der gesellschaftliche Perspektiven einbezieht. Wir möchten ja Menschen erreichen, solange sie sich gesund fühlen – dort beginnt Prävention!
Ihr Cluster wird für zunächst sieben Jahre gefördert. Wenn wir sieben Jahre nach vorn blicken: Was haben Sie dann idealerweise erreicht?
Siegmund: Drei Dinge: Die angesprochene Awareness in der Gesellschaft sowie gemeinschaftliche Ideenentwicklung. Unser Fokus ist zwar die molekulare Prävention, aber wir können schon jetzt viel einfacher beginnen: Wenn wir etwa auf Softdrinks verzichten würden, könnten wir viel Schaden verhindern. Nummer zwei wäre, dass wir in sieben Jahren aus einer gesunden Gruppe Risikopersonen identifizieren und Maßnahmen ableiten können, um diese davor zu schützen, krank zu werden. Nummer drei wäre, dass wir als Forschungsverbund für das Thema international sichtbar sind.
Welche Bedeutung hat Ihr Cluster für den Wissenschaftsstandort Berlin?
Diefenbach: Am Charité Campus Benjamin Franklin entsteht bereits ein neues Forschungsgebäude zu genau dem Thema – „Der gesunde Mensch“. Hier möchten wir Begegnungen, Zusammenkünfte und Diskussion ermöglichen, auch für die Berlinerinnen und Berliner.
Rajewsky: Wer Krankheiten heilen will, muss erst verstehen, was in den Zellen vor sich geht. Das hat Rudolf Virchow einst postuliert. Wir haben jetzt die technischen Möglichkeiten, Virchows Traum Wirklichkeit werden zu lassen, hier in Berlin. Wir wollen damit die Präzisionsprävention neu definieren und in dem Feld eine treibende Kraft werden – in Berlin, Deutschland und weltweit.
Worauf freuen Sie sich jetzt?
Siegmund: Wir haben drei Jahre lang enorm viel Arbeit in den Antrag gesteckt und über diesen Zeitraum intensive, aber auch sehr konstruktive Diskussionen geführt. Unsere Forschungsgruppe brennt darauf, das jetzt umzusetzen. Darauf freuen wir uns alle sehr.
Die Fragen stellte Julia Drews, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Das Interview erschien zuerst in der Beilage der Berlin University Alliance im Tagesspiegel.
Andreas Diefenbach, Britta Siegmund und Nikolaus Rajewsky auf der Wendeltreppe im MDC-BIMSB
Die Cluster-Sprecher*innen
Andreas Diefenbach ist Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie der Charité sowie Einstein-Professor für Mikrobiologie.
Britta Siegmund ist Professorin und Direktorin der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie der Charité.
Nikolaus Rajewsky ist Direktor des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Center (MDC-BIMSB) und Professor an der Charité.