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#LabHacks: So geht Spitzen-Forschung

Zahnstocher sind kaum noch gebräuchlich bei Tisch – schließlich werden heutzutage eher selten Käseigel serviert, zudem bietet sich Zahnseide für die diskrete Mundpflege „danach“ an. Warum sind Zahnstocher stattdessen beliebt im Labor? Wir verraten es Ihnen...

Ich schaue in die erleuchtete Sterilbank im Labor von Ernst Jarosch – und fühle mich ein wenig in das Esszimmer meiner Eltern versetzt. Dort findet sich nämlich ein ähnliches Utensil wie jenes, auf das jetzt mein Blick fällt: ein Zahnstocher-Spender. Bei meinen Eltern ist das eine zylindrische Plastikdose, die untere Hälfte rot, der Schraubdeckel ist durchsichtig, darinnen stehen die kleinen hölzernen Helferlein dicht an dicht und warten auf ihren Einsatz.

Ganz ähnlich sieht auch der „Zahnstocher-Spender“ aus, den Ernst Jarosch in seinem Labor bereithält. Nur dass die Hölzchen in einem kleinen Glaszylinder stecken und von einer Haube aus Aluminium bedeckt sind. „Diese Zahnstocher sind autoklaviert, also steril“, erklärt der Wissenschaftler, der in der Arbeitsgruppe von Prof. Thomas Sommer forscht. Er und sein Team nutzen die altmodischen Putzwerkzeuge, um Proben aus Bakterienkolonien zu entnehmen.

Zahnstocher-Spitzen eignen sich perfekt zur Probenentnahme

Die wachsen auf so genannten Nährmediumsplatten. Das Problem: Oft befinden sich auf einer Platte so viele Kolonien, dass es schwierig ist, Proben aus einzelnen dieser Zellhäufchen zu entnehmen. Das ist aber wichtig, sagt Jarosch, denn: „Die Kolonien weisen unterschiedliche DNA auf. Wenn wir Proben einzelner Kolonien entnehmen, dürfen diese nicht durch andere Kolonien ’verunreinigt’ sein. Deswegen nutzen wir zur Entnahme Zahnstocher. Die sind vorne sehr spitz und eignen sich deswegen perfekt zur Entnahme.“

Jeder „beprobte“ Zahnstocher wandert in ein Reagenzgläschen mit einer speziellen Nährlösung. Diese ist mit einem Antibiotikum versetzt, das vorrangig in der Forschung verwendet wird. Die Bakterien auf dem Zahnstocher wiederum enthalten ein Plasmid, also ein Stück extra-chromosomale DNA, das unter anderem ein Gen zur Ausbildung einer Resistenz gegen das Antibiotikum enthält. Nur Bakterien mit Plasmid können deshalb in der Nährlösung wachsen. „Wir nutzen diese Bakterien als eine Art Fabrik zur Vervielfältigung einer bestimmten, von uns gewünschten DNA, denn die Mikroorganismen vermehren sich sehr schnell in der Lösung und liefern somit in kurzer Zeit große Mengen davon“, erklärt Ernst Jarosch.

Mit der gezüchteten DNA andere Systeme transformieren

Im nächsten Schritt werden die so vermehrten DNA-Konstrukte in Hefezellen eingeschleust, um dort zu untersuchen, welche Auswirkungen sie auf bestimmte biologische Prozesse in diesem Organismus haben. Auf diese Weise können Jarosch und sein Team zum Beispiel gezielt Veränderungen in einem Enzymkomplex dieser Hefezellen herbeiführen. Solche Versuchsansätze ermöglichen Aussagen über die Organisation von Proteinkomplexen und erlauben Rückschlüsse auf die Funktion einzelner Komponenten. Die Gruppe um Thomas Sommer untersucht den Abbau fehlerhafter Proteine im Sekretionsweg, der wesentlich zur Vermeidung von zellulärem Stress beiträgt und damit ein wichtiger Prozess zur Erhaltung der Funktionalität einer Zelle ist.

Ich erinnere mich gut, wie ungern ich Zahnstocher benutzt habe, als ich noch bei meinen Eltern wohnte – meist splitterten oder zerbrachen sie zwischen den Zähnen. Dass sie wegen ihrer spitz zulaufenden Enden jetzt in der Spitzenforschung genutzt werden, leuchtet mir dagegen ein.


Beitragsbilder: Redaktion/MDC.