Wissenschaftliches Bild

Verborgene Genschalter finden

Ein Team um Dubravka Vučićević vom Max Delbrück Center hat eine Methode entwickelt, mit der sich herausfinden lässt, wie die DNA die Gene steuert. Das in „Cell Genomics“ vorgestellte Verfahren findet die biologischen Schalter, die wichtige Gene regulieren, schneller als bestehende Techniken.

Der größte Teil des menschlichen Genoms kodiert keine Proteine. Vielmehr bestehen weite Bereiche unseres Erbguts aus regulatorischen Regionen. Wie Schalter, die das Licht an- und ausknipsen, bestimmen diese Abfolgen aus Nukleotiden, auch Transkriptionsverstärker genannt, wo und wann ein Gen aktiv ist. So können sie weitgehend kontrollieren, welche Mengen des entsprechenden Proteins eine Zelle produziert. Veränderungen in der Nukleotidsequenz solcher Schalter können zu Entwicklungsstörungen und Krankheiten führen. Im Vergleich zu proteinkodierenden Regionen sind Transkriptionsverstärker allerdings schwerer zu identifizieren, da sie oft weit entfernt von den Genen liegen, die sie regulieren, und vielfach keinen klar definierten genetischen Code besitzen. 

Forschende um Dr. Dubravka Vučićević aus der Arbeitsgruppe „Bioinformatik der Genregulation“ von Professor Uwe Ohler am Max Delbrück Center haben jetzt ein leistungsstarkes Werkzeug entwickelt, um die Regionen im Erbgut, die unsere Gene steuern, zu finden. Das TESLA-seq (TargEted SingLe-cell Activation screen) genannte Tool kombiniert die CRISPR-basierte Genaktivierung (CRISPRa) – eine Technik, bei der eine modifizierte Form des CRISPR-Cas9-Systems eingesetzt wird, um die Expression bestimmter Gene zu verstärken – mit der gezielten Einzelzell-RNA-Sequenzierung. Die neue Methode spürt regulatorische Abschnitte im Genom schneller und genauer als andere Verfahren auf. Die Studie ist in „Cell Genomics“ veröffentlicht. 

„Mit dem neuen Tool können wir testen, ob Tausende potenzieller regulatorischer Elemente im Erbgut Gene tatsächlich aktivieren können – und genau herausfinden, auf welche Gene sie Einfluss haben“, sagt Vučićević, die Erstautorin der Studie.

Kartierung regulatorischer Elemente

Um das Verfahren zu demonstrieren, nutzten die Forschenden ein Gen namens PHOX2B, das für die Entwicklung des Nervensystems unerlässlich ist. Mutationen in dem Gen stehen im Zusammenhang mit Neuroblastomen – einer Krebserkrankung des Nervensystems, die vor allem im Kindesalter auftritt. 

Vučićević und ihre Kolleg*innen konzentrierten sich auf einen großen Bereich um PHOX2B herum. Für Abschnitte von jeweils 100 Basenpaaren entwarfen sie jeweils zwei bis drei Leit-RNAs (gRNAs), die das CRISPRa-System zu seinen Zielorten im Genom führten. Mit insgesamt 46.722 gRNAs konnten sie so die gesamte Genomlandschaft des PHOX2B-Gens und benachbarter Erbanlagen nach potenziellen Genschaltern absuchen.

Anschließend übertrug das Team jede gRNA in eine einzelne menschliche Neuroblastomzelle, damit das CRISPRa-System dort alle regulatorischen Regionen aktivieren konnte, die in dem entsprechenden Abschnitt des Genoms vorhanden sind. Die Forschenden identifizierten so mehr als 600 Regionen, CaREs (CRISPRa-responsive elements) genannt, die – wenn sie aktiviert wurden – das Zellwachstum veränderten.

Im nächsten Schritt nahmen Vučićević und ihre Kolleg*innen etwa 200 CaREs genauer unter die Lupe. Mithilfe gezielter Einzelzell-RNA-Sequenzierung analysierten sie in jeder Zelle sowohl die gRNA als auch die RNA aus benachbarten Genen. So konnten sie jedes CaRE mit einem der gut 70 Gene in der PHOX2B-Region verknüpfen, deren Expression sich in dieser Zelle verändert hatte – darunter wichtige Regulatoren von SHISA3 und APBB2, die an Krebs und Alzheimer beteiligt sind. 

Überraschenderweise kontrollierten viele CaREs weit entfernte Gene und übersprangen dabei benachbarte Erbanlagen vollständig – was andere Methoden oft übersehen. „TESLA-seq erfasst nicht nur, was in einem Zelltyp geschieht, sondern kann auch potenzielle Verbindungen zwischen Genen und regulatorischen Regionen in verschiedenen biologischen Systemen aufdecken“, sagt Ohler.

Dies sei wichtig, weil viele Krankheiten mehr als einen Gewebetyp betreffen, ergänzt Vučićević. „Die Technik lässt sich verwenden, um die riesigen unerforschten Teile unserer DNA zu untersuchen, die die Gesundheit und Krankheit über mehrere Organsysteme hinweg beeinflussen. So kann TESLA-seq uns helfen, präzisere und wirksamere Therapien zu entwickeln.“

Text: Gunjan Sinha

Weitere Informationen

Literatur

Dubravka Vučićević, Che-Wei Hsu, Uwe Ohler, et. al. (2025): „Sensitive dissection of a genomic regulatory landscape using bulk and targeted single-cell activation.” Cell Genomics. DOI: 10.1016/j.xgen.2025.100984

Kontakte

Dr. Dubravka Vučićević
AG Ohler
Max Delbrück Center
Dubravka.Vucicevic@mdc-berlin.de

Gunjan Sinha
Redakteurin Kommunikation
Max Delbrück Center 
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Gunjan.Sinha@mdc-berlin.de or presse@mdc-berlin.de

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