Carl-Hermann-Medaille für Udo Heinemann
Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kristallographie (DGK) in Hannover wird Professor Udo Heinemann so etwas wie ein Exot sein. „Die meisten Wissenschaftler, die dort zusammenkommen, sind Materialforscher und interessieren sich zum Beispiel dafür, wie man Solarzellen oder Halbleiter weiter optimieren kann“, sagt der Strukturbiologe. Er selbst hat mehr als ein Vierteljahrhundert mit eigener Arbeitsgruppe am Max Delbrück Center in der Biomedizin geforscht.
Trotzdem wird der 71-Jährige bei der diesjährigen Eröffnungsfeier der Konferenz am 10. März die wichtigste Auszeichnung der Fachgesellschaft entgegennehmen: die Carl-Hermann-Medaille. Verliehen wird sie laut DGK „für das wissenschaftliche Lebenswerk herausragender Forscherpersönlichkeiten auf dem Gebiet der Kristallographie“.
Mit Röntgenstrahlen und kristallisierten Proteinen
Ich freue mich natürlich sehr über diese Anerkennung und Wertschätzung meiner Arbeit – die allerdings ohne meine Kolleginnen und Kollegen im Labor niemals so erfolgreich gewesen wäre, weswegen ich allen unendlich dankbar bin.
„Ich freue mich natürlich sehr über diese Anerkennung und Wertschätzung meiner Arbeit – die allerdings ohne meine Kolleginnen und Kollegen im Labor niemals so erfolgreich gewesen wäre, weswegen ich allen unendlich dankbar bin“, sagt Heinemann, der auch nach seiner Emeritierung weiterhin am Max Delbrück Center als Ombudsperson für gute wissenschaftliche Praxis fungiert. „Wenn man sich anschaut, wer den Preis in den vergangenen Jahren erhalten hat, dann sind in dieser Liste zahlreiche in ihrem Fach sehr bedeutende Kollegen zu finden.“
Dass sich unter den preisgekrönten Wissenschaftlern – es sind bislang tatsächlich nur Männer – nun auch ein Forscher befindet, der sich vor allem für lebende Strukturen interessiert, ist dennoch kein Zufall. „Lange Zeit konnte man die räumlichen Strukturen von Proteinen, Nukleinsäuren oder anderen zellulären Bestandteilen nur erfassen, indem man die Substanzen isoliert, kristallisiert und mit Röntgenstrahlen beschossen hat“, erzählt Heinemann.
In den Kristallen erzeugten die Strahlen ein bestimmtes Beugungsmuster, anhand dessen ein Computer Rückschlüsse auf die dreidimensionale Gestalt der untersuchten Moleküle ziehen konnte. Selbst einzelne Atome und die Bindungen zwischen ihnen ließen sich auf diese Weise sichtbar machen.
Experimente als Grundlage für KI-basierte Software
In seinem Forscherleben interessierte sich Heinemann zum Beispiel dafür, wie Proteine sich an die DNA heften und was sie dort bewirken. Auch Transportvorgänge in der Zelle wollte er verstehen. „Mithilfe der Kristallographie haben wir zu all diesen Fragen Hypothesen formuliert, die wir mit anderen Forschungsansätzen überprüfen konnten“, erläutert der Wissenschaftler.
Inzwischen werden solche Fragen mehr und mehr per Kryoelektronenmikroskopie oder mit Methoden der künstlichen Intelligenz, etwa der Software AlphaFold, beantwortet – ganz ohne Experimente. „Solche Vorhersagen sind allerdings erst durch unsere Arbeiten möglich geworden“, sagt Heinemann. „Sie arbeiten auf der Basis unserer experimentell gewonnenen Erkenntnisse.“
Manchmal aber lassen sich bestimmte Dinge mit KI allein auch heute nicht entdecken. Besonders gern denkt Heinemann an eine Strukturanalyse zurück, die er gemeinsam mit der Arbeitsgruppe von Erich Wanker, ebenfalls Max Delbrück Center, vor rund zehn Jahren, vorgenommen hat. Es ging damals um das Protein p97, das in menschlichen Zellen unter anderem Energie aus ATP-Molekülen gewinnt, um damit andere, größere Moleküle auseinanderzubauen.
Neue Arzneimittel dank Kristallographie
„Wenn p97 sich an eine bestimmte andere Klasse von Proteinen heftete, veränderte sich seine Struktur auf eine ganz verrückte Weise, die man so per KI niemals hätte vorhersagen können“, erzählt der Forscher. „Was genau dieser überraschende Wandel bewirkt, werden hoffentlich jüngere Kolleginnen und Kollegen irgendwann herausfinden.“
Bis heute liefere die Kristallographie jedenfalls die genauesten Einblicke in molekulare Strukturen. „Wichtig sind diese zum Beispiel für die Arzneimittelentwicklung – etwa um zu verstehen, wie ein pharmazeutisch aktives Molekül an seine Zielstrukturen bindet“, erklärt Heinemann. Die Kristallographie könne so dabei helfen, neue Medikamente schneller für Patient*innen verfügbar zu machen.
Text: Anke Brodmerkel
Weiterführende Information
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