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Darauf wartet die Pharmaindustrie

Bis aus Forschungsergebnissen neue Technologien oder Therapien werden, braucht es einen langen Atem. Vielversprechende „Wegbereiter-Projekte“ erhalten eine Finanzspritze aus dem Impuls- und Vernetzungsfonds der Helmholtz-Gemeinschaft. Nun haben Forschende des Max Delbrück Centers mit drei Projekten überzeugt.

Wenn neue Produkte oder Technologien das Labor verlassen, um sich in der Praxis zu bewähren, geht es um Alles oder Nichts. Vom Ausgang der Validierung hängt ab, ob ein neuer Wirkstoff oder eine innovative Methode eines Tages in der Patientenversorgung ankommen – oder eben nicht. Wissenschaftler*innen prüfen, ob der Wirkstoff oder das Verfahren für die beabsichtigte Diagnose oder Therapie tatsächlich geeignet, ausreichend zuverlässig und sicher ist und auch außerhalb eines Labors hergestellt werden kann.

In dieser „heißen Phase“ unterstützt die Helmholtz-Gemeinschaft Forschende mit Geld aus ihrem Impuls- und Vernetzungsfonds (IVF). In diesem Jahr sind gleich drei Teams des Max Delbrück Centers darunter: die Gruppe „RNA Biologie und Posttranscriptionale Regulation“ von Professor Markus Landthaler, die Gruppe „Molekulare Physiologie der somatosensorischen Wahrnehmung“ von Professor Gary Lewin und die Technologie-Plattform „Bioinformatics and Omics Data Science“ unter der Leitung von Dr. Altuna Akalin.

Die Proteinproduktion in Zellen ankurbeln

Markus Landthaler hat eine Methode entwickelt, mit der die Produktion von therapeutischen Proteinen auf ein neues Level gehoben werden könnte. Solche Proteine, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen wie Krebs, Rheuma oder Multiple Sklerose zum Einsatz kommen, werden häufig aus gentechnisch veränderten Säugetierzellen gewonnen. Meist kommen dabei CHO-Zellen (CHO = Chinese Hamster Ovary) zum Einsatz, das sind Zellen aus einer unsterblich gemachten Zelllinie, die von einem Chinesischen Zwerghamster abstammen.

Die CHO-Zellen liefern sehr verlässlich therapeutische Proteine – doch die Produktion ist aufwendig und teuer. Die Kosten würden erheblich geringer ausfallen, wenn die Ausbeute gesteigert werden könnte. Markus Landthaler und seinem Team ist es gelungen, die CHO-Zellen so zu verändern, dass sie mehr Protein produzieren. „Darauf wartet die Pharmaindustrie schon lange“, sagt Innovations- und Technologiemanager Dr. Daniel Romaker, der das Projekt in der Abteilung Technologietransfer des Max Delbrück Centers begleitet. Im vergangenen Jahr hat das Max Delbrück Center ein Patent für diese Technologie eingereicht.

Nun steht der Praxistest an. Von der Helmholtz-Gesellschaft erhielt der Forscher dafür 300.000 Euro für zwei Jahre. Derzeit suchen er und seine Mitstreiter*innen nach einem Unternehmen, dass die optimierten CHO-Zellen unter industriellen Bedingungen testet. Sie wollen herausfinden, ob sich diese Zellen in einem Bioreaktor mit einem Volumen von fünf, zehn oder gar 1.000 Litern genauso zuverlässig verhalten wie in der Petrischale im Labor. Außerdem will Markus Landthaler belegen, dass die Methode auch für die Herstellung von Antikörpern geeignet ist. Gelingt das, dürfte die anschließende Suche nach Investor*innen für eine Ausgründung nicht schwer werden.

Den Schmerz abschalten

Neue Schmerzmedikamente scheitern oft in klinischen Phase I- oder II-Studien, deshalb scheuen die Investor*innen vor diesem Markt zurück.
Gary Lewin
Gary Lewin Leiter der AG „Molekulare Physiologie der somatosensorischen Wahrnehmung“

Auch Professor Gary Lewin will die Finanzspritze der Helmholtz-Gemeinschaft – er erhält 800.000 Euro für zwei Jahre – dafür nutzen, potenzielle Kapitalanleger*innen von seiner Idee zu überzeugen. Ihm geht um eine medikamentöse Schmerztherapie. „Neue Schmerzmedikamente scheitern oft in klinischen Phase I- oder II-Studien“, sagt der Wissenschaftler, „deshalb scheuen die Investor*innen vor diesem Markt zurück – obwohl der Bedarf riesig ist.“ Um so wichtiger ist es, dass die Validierung hieb- und stichfest ist.

Lewins Team hat ein Molekül entwickelt, das Nervenschmerzen, auch neuropathische Schmerzen genannt, mindert. Diese Schmerzen treten auf, wenn die „Gefühlsfasern“ des Nervensystems geschädigt werden, etwa durch Autoimmunerkrankungen wie die Multiple Sklerose sowie Diabetes mellitus, Alkoholmissbrauch, Infektionen oder Verletzungen. Anders als beim „normalen“ Schmerz entstehen die Schmerzimpulse in der Regel nicht im Bereich der Nervenendigungen. Verantwortlich ist vielmehr eine Aktivierung von Ionenkanälen in den Tast- und Schmerzrezeptoren der Haut. Die Empfindlichkeit dieser Ionenkanäle wird durch das Stomatin-ähnliche Protein-3 (STOML3) gesteuert. „Wir konnten schon 2017 am Mausmodell zeigen, dass die Schmerzempfindlichkeit sinkt, wenn STOML3 gehemmt wird“, sagt Gary Lewin.

Sein Team will nun belegen, dass der Hemmstoff auch in menschlichen Neuronen funktioniert. Dafür arbeiten die Forschenden mit Partnerlaboren in Australien und Großbritannien zusammen. Außerdem wollen sie ein Unternehmen für medizinische Chemie in den Niederlanden beauftragen, den Wirkstoff noch weiter zu verbessern. „Wir wollen das Hauptmolekül so stabil wie möglich in die Zellen einbringen“, erklärt Lewin. „Unser Ziel ist, es so weit zu verbessern, das nach Einnahme einer Tablette die Wirkung einen ganzen Tag lang anhält.“ Für Patient*innen, die an Nervenschmerzen leiden, wäre dies eine riesige Erleichterung.

KI hilft bei Medikamentenentwicklung

Künstliche Intelligenz kann dazu beitragen, die Entwicklungsspanne zu verkürzen und damit die Medikamentenpreise zu senken.
Dr. Altuna Akalin
Altuna Akalin Leiter der „Bioinformatics and Omics Data Science Platform“

Die Entwicklung eines neuen Medikaments ist langwierig. Nicht selten vergehen zehn bis 15 Jahre, bis ein neuer Wirkstoff gefunden und getestet ist. Die Kosten können mehrere Milliarden Euro betragen. „Das erklärt die hohen Preise insbesondere von innovativen Krebsmedikamenten“, sagt Dr. Altuna Akalin. „Künstliche Intelligenz kann dazu beitragen, die Entwicklungsspanne zu verkürzen und damit die Medikamentenpreise zu senken.“ Der Bioinformatiker erhält 800.000 Euro für zwei Jahre aus dem Helmholtz Impuls- und Vernetzungsfonds, um eine KI-basierte Medikamentenentwicklungsplattform zu entwickeln. Seit 20 Jahren arbeitet er auf dem Gebiet der computergestützten Genomik und des angewandten Maschinenlernens. 2017 ist es ihm und seinem Team gelungen, mithilfe künstlicher Intelligenz Biomarker für einige Krebsarten zu finden.

Das KI-System, das er aktuell entwickelt, soll drei Phasen der Entwicklung neuer Therapeutika abdecken: Im ersten Schritt soll es Gene oder Proteine definieren, die geeignete Ziele für eine medikamentöse Therapie darstellen. Dann soll es Moleküle finden, die die krankheitsauslösenden Prozesse unterbinden. Und schließlich soll die KI anhand von Biomarkern die Patient*innen aufspüren, bei denen diese Therapie anschlagen würde. Im Projekt wird Altuna Akalin alle drei Phasen testen und anschließend die Vorhersagen der KI experimentell erproben.

„Die Methoden zur Erforschung von Krebs sind sehr datenhungrig“, sagt Altuna Akalin, „es liegen uns also unzählige Daten vor, mit denen wir unser System trainieren können.“ Zunächst konzentriert er sich dabei auf Darmkrebs und das Neuroblastom. Das System könne aber auch an andere Krebsarten angepasst werden.

Text: Jana Ehrhardt-Joswig

 

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