MDC Lecture: Wenn Zombies angreifen, helfen Senolytika
Das Alter ist ein Risiko für die Gesundheit. Es geht sehr oft mit Erkrankungen einher, darunter Alzheimer, Krebs, Diabetes, Arteriosklerose, Arthritis oder Herz-Kreislauferkrankungen. „Zwischen Lebensalter und Auftreten dieser Erkrankungen scheint es einen Zusammenhang zu geben“, sagt Dr. James L. Kirkland, Direktor des Robert- und Arlene-Kogod-Zentrums für Altern an der Mayo Clinic in Rochester, USA. „Wenn es uns gelingt, die Ursache zu entschlüsseln, nämlich den Alterungsprozess selbst, sind wir vielleicht in der Lage, viele Krankheiten zu verhindern, zu lindern oder zu kurieren.“
Dafür untersucht Kirkland bereits seit vielen Jahren, wie Zellen altern. Wissenschaftler*innen nennen diesen Vorgang Seneszenz. Seneszente Zellen hören irgendwann auf, sich zu teilen. Weil sie nicht mehr am Leben, aber auch noch nicht tot sind, werden sie gelegentlich in der Presse als „Zombie-Zellen“ beschrieben. Um sich gegen das Immunsystem zu verteidigen, schütten die seneszenten Zellen entzündungsfördernde Zytokine aus. So schädigen oder töten sie gar umliegende Zellen. Erkrankungen und Gebrechlichkeit sind die Folge. Je älter der Mensch, desto mehr seneszente Zellen gibt es im Gewebe. Das Immunsystem greift sie zwar an, tötet sie auch – doch wenn sich die Zombies massenhaft ansammeln, zieht die Immunabwehr den Kürzeren.
Senolytische Medikamente sollen dem Immunsystem künftig beistehen und seneszente Zellen aus dem Körper spülen. Was das für Wirkstoffe sind, wie sie wirken und wie weit die Forschung dazu gediehen ist, darüber spricht Kirkland in seinem virtuellen Vortrag „Aging, Chronic Disease, and Senolytic Agents: The Path to Translation” am 21. September 2020. Neben der zellulären Seneszenz sind altersbedingtes Fettgewebe und Stoffwechselstörungen seine Forschungsschwerpunkte. Seine wissenschaftliche Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem verleiht ihm die American Federation for Aging Research ihren diesjährigen Wissenschaftspreis.
Einige Forschende betrachten das Altern als Krankheit, die behandelt werden kann. Sehen Sie das auch so?
Es geht mir nicht darum, das Leben um jeden Preis zu verlängern. Mein Ziel ist es, die Gesundheitsspanne zu erweitern.
Auf diese Debatte lasse ich mich nicht ein. Ich bin Arzt in der Geriatrie, Kliniker, auch Grundlagenwissenschaftler. Es geht mir nicht darum, das Leben um jeden Preis zu verlängern. Mein Ziel ist es, die Gesundheitsspanne zu erweitern, also die Zeitspanne im Leben ohne Krankheit, Behinderung, Schmerzen, kognitive Beeinträchtigungen, Abhängigkeit.
Wie sind Sie darauf gekommen, dass seneszente Zellen der Schlüssel zum Ausschalten der Alterskankheiten sein könnte?
Seneszenz ist schon lange bekannt, die erste Arbeit dazu erschien bereits 1961. 2004 veröffentlichte Norman Sharpless, der heutige Direktor des National Cancer Institute, ein Paper, in dem er schilderte, wie er in Mäusen die Anhäufung seneszenter Zellen verlangsamen konnte. So behandelt, waren die Mäuse nicht nur gesünder als gleichaltrige Tiere, sondern lebten auch länger. Das brachte meine Teammitglieder und mich auf die Idee, dass seneszente Zellen und die Gesundheitsspanne miteinander zusammenhängen. Was würde passieren, wenn wir sie loswürden? Wir machten uns also daran zu untersuchen, wie wir sie aus dem Körper entfernen können.
Was haben sie herausgefunden?
Seneszente Zellen entwickeln Abwehrmechanismen, dank derer sie überleben, während sie die umliegenden Zellen töten. Wir haben deshalb senolytische Medikamente entwickelt, die diese Verteidigungsstrategien für eine kurze Zeit ausschalten. Währenddessen begehen die seneszenten Zellen Selbstmord, anstatt die umliegenden Zellen zu töten.
Wie haben Sie die Senolytika getestet?
2018 transplantierten wir humane seneszente Zellen in Mäuse. Die Tiere alterten daraufhin sehr schnell und starben an altersbedingten Krankheiten. Mit Senolytika konnten wir diesen frühen Tod verhindern. In einer klinischen Studie haben wir dann Patientinnen und Patienten mit idiopathischer Lungenfibrose (IPF) Senolytika verabreicht. IPF ist eine chronische, irreversible und fortschreitende, oft tödliche Krankheit, bei der die Lunge vernarbt, so dass die Betroffenen nur sehr schwer Luft bekommen. Der Zustand der behandelten Personen hat sich durch die Therapie verbessert, allerdings waren nur sehr wenige Teilnehmende in die Studie eingeschlossen. In einer weiteren klinischen Studie mit Personen mit Diabetes und Nierenfunktionsstörungen konnten wir die seneszenten Zellen im Fettgewebe und ihre Produkte im Blut reduzieren.
Ist es vorstellbar, dass Menschen irgendwann prophylaktisch Senolytika einnehmen, um die seneszenten Zellen loszuwerden und keine Alterskrankheit zu bekommen?
Auf keinen Fall. Seneszente Zellen sind nicht nur schädlich. Sie spielen eine Rolle in verschiedenen Phasen der Entwicklung, sie bauen Gewebe um, sind wichtig für die Wundheilung, kommen in der Plazenta vor und sind an Geburten und anderen wichtigen Prozessen beteiligt. Wir wollen sie also nur dann loswerden, wenn sie stören – beispielsweise bei einer Bestrahlung oder Chemotherapie. Dabei sterben Krebszellen ab oder sie altern, werden also zu seneszenten Zellen. Und dann können sie zu Zeitbomben werden. Manchmal verwandeln sie sich in noch bösartigere und medikamentenresistente Krebszellen zurück.
Wie lange wird es dauern, bis Senolytika im klinischen Alltag angekommen sind?
Das kann ich nicht sagen, das kommt auf die Ergebnisse der klinischen Studien an, die momentan laufen. Derzeit wäre es noch viel zu früh, um sie außerhalb von klinischen Studien anzuwenden. Wir greifen mit diesen Substanzen in grundlegende biologische Prozesse ein und haben noch nicht ausreichend Klarheit über die möglichen Folgen.
Die Fragen stellte Jana Ehrhardt-Joswig.