Weit mehr als ein Glückshormon
Frau Dr. Alenina, Herr Professor Bader, zwei Tage lang zog ein einziges Molekül am Max Delbrück Center das Interesse von mehr als 130 Forscherinnen und Forschern auf sich: der Neurotransmitter Serotonin. Was sind seine wichtigsten Aufgaben in unserem Körper?
Bader: Serotonin ist mehr als nur ein Neurotransmitter. Zum größten Teil wird der Botenstoff im Darm produziert und über die Blutplättchen im ganzen Körper verteilt. Dort wirkt er als Hormon und ist zum Beispiel an der Blutgerinnung, der Wundheilung und an Entzündungen beteiligt. Im Gehirn moduliert Serotonin sehr viele Vorgänge, unter anderem beeinflusst es den Schlaf, den Appetit und die Stimmung.
Gilt der Botenstoff zu Recht als Glückshormon?
Alenina: Serotonin und auch Dopamin sind an dem Gefühl von Glück auf jeden Fall beteiligt. Fast alle Drogen, die wir kennen, erhöhen die Wirkung dieser beiden Neurotransmitter. Man weiß zudem, dass ein verminderter Serotonin-Spiegel zu Depressionen führt. Deshalb versucht man bei der Behandlung der Krankheit, die Verfügbarkeit des Botenstoffs im Gehirn zu erhöhen. Darüber hinaus haben wir aber zum Beispiel auch gesehen, dass Tiere, die kein Serotonin im Gehirn produzieren, sehr aggressiv werden. Das Molekül scheint also an diversen Gefühlsregungen beteiligt zu sein.
Einfluss auf die Genaktivität
Warum waren die im Jahr 2003 gemachten Entdeckungen, deren runden Geburtstag Sie mit der Konferenz gefeiert haben, so wichtig?
Bader: Wir haben damals zum einen herausgefunden, dass Serotonin nicht nur von einem, sondern von zwei Enzymen im Körper gebildet wird. Das bis dahin noch unbekannte Enzym TPH2 ist vor allem im Gehirn aktiv. Zum anderen haben wir entdeckt, dass Serotonin sich nicht nur an die Rezeptoren auf der Oberfläche von Zellen heftet, sondern auch in sie eindringt. Dort kann es an Proteine gebunden werden und diese so in ihren Funktionen beeinflussen. Beides waren völlig neue Erkenntnisse.
Welche wichtigen Einsichten wurden seither über Serotonin gewonnen?
Bader: Mit den von uns generierten Knock-out-Mäusen, die nur im Gehirn, nicht aber in der Körperperipherie Serotonin herstellen können, haben wir gezeigt, dass der Botenstoff auch eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Lungenhochdruck spielt – einer schweren Krankheit mit schlechter Prognose. Unsere Mäuse waren davor geschützt. Darüber hinaus haben Forschende in den USA herausgefunden, dass Serotonin sich sogar an Histone bindet, also an das Verpackungsmaterial der DNA. Somit ist es auch an der Regulation von Genaktivitäten beteiligt.
Ein Mittel gegen Lungenhochdruck
Inwieweit lassen sich solche Beobachtungen womöglich medizinisch nutzen?
Bader: Wir haben Substanzen entwickelt, die das Enzym TPH1 hemmen, so dass außerhalb des Gehirns nur geringe Mengen des Botenstoffs gebildet werden. In Tiermodellen konnten wir zeigen, dass sich Lungenhochdruck mit ihnen heilen lässt. Nun haben wir vor wenigen Tagen die Firma „Trypto Therapeutics“ gegründet, um die Wirkstoffe in die klinische Anwendung zu bringen. Auch Therapien anderer Serotonin-abhängiger Krankheiten, etwa Haut- oder Lungenfibrose, wollen wir dort voranbringen.
Welche neuen Technologien haben die Serotonin-Forschung zuletzt beschleunigt?
Alenina: Ganz wichtig ist für uns zum Beispiel die Optogenetik, mit der wir untersuchen können, wie Serotonin die Aktivität verschiedener Nervenzellen im Gehirn beeinflusst. Auch die Einzelzellsequenzierung und die Kalzium-Bildgebung im Gehirn sind in der Serotoninforschung sehr hilfreich.
Was war für Sie das Highlight der Konferenz?
Bader: Besonders gefreut hat mich, dass wir unseren schwedischen Kollegen Kjell Fuxe vom Karolinska Institutet als Keynote Speaker gewinnen konnten. Er ist inzwischen 85 Jahre alt und hat bereits in den frühen Sechzigerjahren herausgefunden, wo im Gehirn sich die Serotonin produzierenden Zellen befinden. Es ist ein Grundlagenpaper, das eigentlich jeder von uns immer wieder zitiert. Auch der Vortrag von Ian Maze zur Histon-Serotonylierung oder der von Daniel Hoyer zum Einsatz von Psilocybin-Pilzen und MDMA, also Ecstasy, in der Behandlung von Depressionen waren sehr interessant.
Wichtig für das frühe Wachstum
Welche noch offenen Fragen zu Serotonin beschäftigen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen momentan ganz besonders?
Alenina: Wir haben gesehen, dass Säugetiere, die in ihrem Gehirn kein Serotonin haben, in den ersten Wochen ihres Lebens sehr viel langsamer wachsen als andere. Wenn sie von ihrer Mutter entwöhnt werden und andere Nahrung als Milch zu sich nehmen, holen sie allerdings rasch und vollständig auf. Dieses Phänomen ist bislang völlig unerklärt. Im Rahmen des EU-finanzierten Forschungsnetzwerks „Serotonin and Beyond“, gehen gerade zwei Doktoranden aus unserem Team der Frage nach, welche noch unbekannte Rolle Serotonin in der frühen Entwicklung spielt.
Ist bereits ein weiteres Treffen rund um das Molekül geplant?
Bader: Ja, die meisten von uns werden sich sicher 2025 bei der nächsten Tagung der „International Society for Serotonin Research“ in Wien wiedersehen. Ich bin gespannt, was wir bis dahin alles herausfinden werden.
Das Gespräch führte Anke Brodmerkel.