Zucker für die Nerven
N-Acetylglucosamin ist ein Einfachzucker, der metabolisch an Proteine auf der Zelloberfläche gebunden ist, um Zellfunktionen zu kontrollieren. Forschende haben säugenden Mäusen den Einfachzucker verabreicht, den die Tiere dann über die Muttermilch an ihre Nachkommen weitergaben. Die primäre Myelinisierung der Nervenzellen der Jungtiere sei daraufhin stimuliert worden, schreiben sie nun im „Journal of Biological Chemistry“ (JBC).
„Wir haben festgestellt, dass N-Acetylglucosamin die Myelin-Stammzellen aktiviert, um die primäre Myelinisierung und Myelinreparatur zu fördern“, sagt Michael Demetriou, Professor für Neurologie, Mikrobiologie und Molekulargenetik an der School of Medicine an der Universität von Kalifornien in Irvine und Leiter der Studie. „Unsere Daten lassen darauf schließen, dass N-Acetylglucosamin eine einfache Therapie zur Förderung der Myelin-Reparatur bei Patient*innen mit Multipler Sklerose sein könnte.“ Weitere Untersuchungen sind erforderlich, um diese Theorie an Menschen zu überprüfen.
Multiple Sklerose ist eine chronisch entzündliche Autoimmunerkrankung, bei der körpereigene Immunzellen das Myelin in Gehirn und Rückenmark angreifen. Myelin isoliert die langen, kabelartigen Nervenzellfortsätze, die Axone, und beschleunigt die elektrische Signalleitung zwischen Neuronen. Die Myelinisierung im zentralen Nervensystem spielt auch eine wichtige Rolle bei der kognitiven Entwicklung während der Kindheit.
Weitere klinische Studien sind notwendig
„Interessanterweise ist N-Acetylglucosamin ein wichtiger Bestandteil der Muttermilch beim Menschen, aber nicht von Babynahrung. Dies könnte erklären, warum Kinder, die mit Muttermilch statt Babynahrung gefüttert wurden, Vorteile hinsichtlich der kognitiven Funktion und Myelinisierung haben“, sagt Michael Sy, Assistenzprofessor für Neurologie an der UCI School of Medicine, Co-Direktor des regionalen MS-Programms am VA Long Beach Healthcare System und erster Autor der Studie.
Den klinischen Teil der Studie leitete Dr. Alexander Brandt zusammen mit Professor Friedemann Paul vom Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC). Brandt sagt: „Ein Mangel an N-Acetyglucosamin könnte die Schwere der Krankheit beeinflussen. Das schließen wir aus dem Zusammenhang von reduzierten N-Acetylglucosamin-Serumpegeln mit Veränderungen an der weißen Substanz im Gehirn von Patient*innen mit Multipler Sklerose.“ Zum Zeitpunkt der Studie war Brandt der Leiter des „Translational Neuroimaging Laboratory“ in der Arbeitsgruppe für Klinische Neuroimmunologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, die von Paul geleitet wird. Inzwischen ist Brandt als Dozent für Neurologie zur UCI School of Medicine gewechselt.
Um die Anwendungsmöglichkeiten der Ergebnisse aus dieser Studie zu prüfen sind formelle klinische Untersuchungen erforderlich, an denen die Forschenden bereits arbeiten. Die Studie wurde teilweise durch einen Marilyn Hilton Innovator Award, die National Institutes of Health sowie das deutsche Exzellenzcluster NeuroCure gefördert.
Weitere Informationen
Text basiert auf der ursprünglichen UCI-Pressemitteilung (Oktober 2020)
Literaturangaben
Michael Sy et. al (2020): “N-Acetylglucosamine drives myelination by triggering oligodendrocyte precursor cell differentiation”, Journal of Biological Chemistry, DOI: jbc.RA120.015595