Botenstoff kurbelt überschießende Bildung von Bindegewebe bei Herzerkrankungen an
Akute Mangeldurchblutung und ein dauerhaft erhöhter Blutdruck haben für das Herz gravierende Folgen: Es wird zu viel kollagenes Bindegewebe gebildet und die Herzmuskulatur versteift. Das Herz verliert an Schlagkraft; seine elektrische Reizleitung ist gestört. Weltweit ist die Herzschwäche eine der häufigsten Erkrankungs- und Todesursachen. Ein wichtiger Therapieansatz ist deshalb, die überschießende Kollagenbildung (Fibrose) zu verhindern.
Seit langem ist bekannt, dass der Wachstumsfaktor TGF-Beta die Bindegewebsproduktion ankurbelt. Als Angriffspunkt für ein spezifisches Herzmedikament kommt er jedoch nicht in Frage, da er weitere Signalwege beeinflusst und eine therapeutische Blockade mit zahlreichen Nebenwirkungen einhergeht.
Ein internationales Forschungsteam unter Mitwirkung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin hat deshalb nach Botenstoffen gesucht, die auf TGF-Beta-Stimulation reagieren. Dafür analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Herzzellen von etwa 80 Herzinfarkt-Patienten, denen Ärzte während einer Bypass-Operation eine Gewebeprobe entnommen hatten. Zu ihrer Überraschung wird der Botenstoff Interleukin 11 (IL-11), der bislang als Hemmfaktor der Bindegewebsbildung eingestuft worden war, am stärksten durch den Wachstumsfaktor TGF-Beta stimuliert.
Interleukin 11 kommt fast ausschließlich in Bindegewebszellen vor
„Wir konnten eine hohe RNA-Aktivität für IL-11 und seinen Rezeptor in den Bindegewebszellen der Herzbiopsien feststellen“, sagt Professor Norbert Hübner, Leiter der Arbeitsgruppe Genetik und Genomik kardiovaskulärer Erkrankungen am MDC. Tierversuchen bestätigten dies: Im Herzgewebe von IL-11-behandelten Mäusen lagerte sich mehr Bindegewebe in die Herzmuskulatur ein. Sobald Antikörper die IL-11-Aktivität hemmten, wurden in der Zellkultur weniger Bindegewebsproteine produziert.
Die Wissenschaftler sehen in Antikörpern gegen IL-11 geeignete Kandidaten für die Entwicklung eines Medikaments gegen eine überschießende Bindegewebeproduktion. Dafür spricht auch das spezifische Vorkommen von Interleukin 11. Im Gegensatz zu anderen Botenstoffen kommt es fast ausschließlich in Bindegewebszellen vor.
- Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)
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Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den MDC-Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 60 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organübergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das MDC fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am MDC arbeiten 1600 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete MDC zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.
Weiterführende Informationen
Sebastian Schafer et al. (2017): „IL11 is a crucial determinant of cardiovascular fibrosis.“ Nature. doi:10.1038/nature24676