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Die menschliche Niere mit Organoiden nachahmen

Melissa Little ist eine weltweit führende Stammzellforscherin; sie hat als Erste erfolgreich ein Nierenorganoid entwickelt. Im Vorfeld ihrer MDC Lecture gibt sie uns einen Einblick, wie es zu diesem Heureka-Moment kam, was seither geschah und zum aktuellen Stand der Stammzell- und Organoidforschung.

Die Nieren sind ein äußerst komplexes Gewebe mit einer Million Strukturen, die sich Nephrone nennen und Abfallprodukte aus dem Blut filtern und in den Urin abgeben. Es ist eine enorme Herausforderung, sie im Labor als Miniatur nachzubilden, um wichtige Fragen zu Nierenerkrankungen und -behandlungen zu beantworten. Vor neun Jahren gelang es Professorin Melissa Little, CEO der Novo Nordisk Foundation Center for Stem Cell Medicine, und ihren Kolleg*innen, das erste Nierenorganoid zu entwickeln und publizierten ihre Ergebnisse. Das Verfahren hat seitdem die Forschung an Nierenorganoiden weltweit vorangetrieben.

Am 30. September wird Melissa Little am Max Delbrück Center zu Gast sein. In ihrer MDC-Lecture wird sie die nötige Vorarbeit für diesen Meilenstein beleuchten, die Weiterentwicklung der hochgradig komplexen Organoide und wie sie bei der Suche nach Therapien helfen. Im Interview gibt sie einen Vorgeschmack auf ihren Vortrag.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie das erste Nierenorganoid entwickelt hatten?

Für diesen Weg zum ersten Organoid haben wir 25 Jahre Grundlagenforschung gebraucht, wir haben anhand von Tiermodellen erforscht, wie sich die Niere bildet. Wenn man nicht versteht, wie sich das Organ normalerweise entwickelt, kann man auch nicht beurteilen, ob wir eine Stammzelle dazu gebracht haben, das Richtige zu tun. 

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie es geschafft hatten?
Als wir schließlich in der Petrischale sahen, dass wir etwas herstellen konnten, das aussah, als würden sich Nephrone formen, war das ziemlich aufregend. Das war wirklich ein echter Meilenstein. Wir dachten: „Oh, wow, das ist echt ziemlich cool.“

Wie ging es nach der Veröffentlichung im Jahr 2015 weiter?
Wir haben fast ein Jahrzehnt lang gebraucht, um zu verstehen, was wir in der Schale gezüchtet haben, wie ausgereift es ist. Wir haben entdeckt, was wir mit einem Organoid tun und wie wir es weiter verbessern können. Wir haben viel Arbeit investiert, um die Architektur und die Reifung der Gewebekomponenten zu verfeinern – einschließlich der Nierenröhrchen und der kapillären Gefäßknäuel.

Wird es eines Tages möglich sein, transplantierbare Organe zu züchten?
Als ich mit der Forschung begann, hielt ich das für nicht machbar und war diesbezüglich skeptisch. Heute halte ich es immer noch für extrem schwierig. Aber was früher nicht einmal für möglich gehalten wurde, ist heute denkbar. Ich gehe davon aus, dass die Gewebezüchtung einige wirklich große Veränderungen im Bereich der Organoide bewirken wird.

Welche Herausforderungen gilt es zu bewältigen, bevor wir so weit sind?
Wir müssen die Protokolle zur Erzeugung von Organoiden genauer, reproduzierbarer und zielgerichteter gestalten. Wir müssen sie skalierbar machen, ohne dass die Organoide ihre Funktion verlieren. Wir müssen sicherstellen, dass alles, was wir transplantieren, eine gewisse Fähigkeit besitzt, langfristig zu überleben, zu reifen und zu funktionieren.

Auf welche Fragen sind Sie besonders gespannt?
Ich bin auf alles gespannt. Ich möchte wissen, ob wir Medikamente finden können, um einige dieser genetischen Krankheiten zu behandeln, an denen Kinder sterben, weil es außer Dialyse oder Transplantation einfach keine Alternative gibt. Ich möchte mit den Modellen verstehen, wie sich Zellen selbst organisieren. Je mehr wir verstehen, desto eher können wir dieses Wissen nutzen.

Was hat Sie auf Ihrem Weg erfreut und was hat Sie frustriert?
Viele Menschen nutzen unser Verfahren, es funktioniert also und das ist sehr erfreulich. Es ist jedoch bedauerlich, wenn wir feststellen müssen, dass diese Organoide für minderwertige Forschungsarbeiten verwendet werden. Ein Teil des Problems rührt daher, dass viele Menschen davon ausgehen, dass es sich um ein perfektes Modell der menschlichen Niere handelt, und die Defizite nicht verstehen.

Was hat Sie dazu bewogen, sich an reREW zu beteiligen, einer internationalen Zusammenarbeit zwischen der Universität Kopenhagen, dem Medizinischen Zentrum der Universität Leiden und dem Murdoch Children's Research Institute zur Förderung der translationalen Stammzellenforschung?
Aus hochwertiger Grundlagenforschung können Produkte entstehen. Aber aufgrund institutioneller Barrieren im akademischen Bereich ist das häufig nicht der Fall. Das Risiko auf sich zu nehmen und zu sagen: „Oh, könnte ich daraus ein Produkt machen?“, ist nicht intuitiv, wenn man seine Anstellung in der Wissenschaft behalten möchte. Mit reNEW wollen wir einer Gruppe wirklich guter Stammzellbiolog*innen die Möglichkeit geben, dieses Risiko einzugehen und den Fokus auf die Anwendung zu richten. Es ist ein faszinierendes Experiment, zu sehen, wie ein Paradigmenwechsel in der Forschungsumgebung die Ergebnisse beeinflussen kann – ein Experiment, auf das ich mich sehr freue.

Interview: Laura Petersen

 

Professorin Melissa Little ist CEO des Novo Nordisk Foundation Centre for Stem Cell Medicine (reNEW), leitende Wissenschaftlerin am Murdoch Children's Research Institute und Leiterin des Kidney Regeneration Laboratory in Melbourne. Ihre MDC-Lecture „Generating human kidney tissue using pluripotent stem cells“ findet von 11:00 bis 12:00 Uhr im AXON 1 des MDC.C statt. Hier anmelden.

 

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