Katja Simon

Katja Simon will die Körperabwehr verjüngen

Seit Anfang April leitet Katja Simon die MDC-Arbeitsgruppe „Autophagie im Immunsystem“. Mit ihrem Team möchte sie erforschen, wie langlebige Immunzellen den Prozess der Selbstverdauung nutzen, um sich immer wieder selbst zu erneuern. Von ihren Erkenntnissen sollen Patient*innen schon bald profitieren.
© Felix Petermann, MDC

Zellen sind Spezialisten für Nachhaltigkeit. Alle Organellen oder größeren Molekülkomplexe, die sie nicht mehr benötigen, fressen sie auf – um die Verdauungsprodukte dann für den Aufbau neuer Strukturen wiederzuverwerten. Autophagie heißt dieser zelluläre Recyclingsprozess, den Hefen, aber auch alle pflanzlichen, tierischen und menschlichen Zellen für sich nutzen. „Ohne Autophagie können Zellen sich nicht entwickeln und nicht normal funktionieren, außerdem altern sie ohne sie schneller“, sagt Katja Simon. Die Professorin ist gerade von einer der renommiertesten Universitäten der Welt, der britischen University of Oxford, ans Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) gewechselt.

Ohne Autophagie können Zellen sich nicht entwickeln und nicht normal funktionieren, außerdem altern sie ohne sie schneller.
Katja Simon
Katja Simon Leiterin der Arbeitsgruppe "Autophagie im Immunsystem"

Im Rahmen der Initiative „Helmholtz Distinguished Professorship“, mit der exzellente und erfahrene Forscherinnen aus dem Ausland angeworben werden, baut die 55-jährige Immunologin am MDC eine neue Arbeitsgruppe auf, die an den Bereich „Integrative Biomedizin“ angegliedert sein wird. Mit ihrem vermutlich rund zehnköpfigen Team, das sie gerade zusammenstellt, möchte Simon, wie schon zuvor in Oxford, die Autophagie des Immunsystems weiter erforschen. Verbunden mit ihrer neuen Aufgabe ist eine W3-S-Professur auf Lebenszeit für „Zellbiologie der Immunität“ an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Vier der zehn neuen Stellen am MDC werden über einen „Investigator Award“ des britischen Wellcome Trust finanziert, den Simon kürzlich erhalten hat.

Der perfekte Zeitpunkt für die Rückkehr nach Berlin

Für die in Hamburg und Paris aufgewachsene Forscherin ist es eine Rückkehr nach Berlin, wo sie einst an der Freien Universität studiert und später am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum – als erste Doktorandin des Instituts – ihren Doktortitel erworben hat. Es folgten Postdoc-Jahre in Marseille und Oxford, in denen sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem britischen Immunologen Professor Quentin Sattentau, drei Kinder bekommen und großgezogen hat. Inzwischen hat auch die jüngste Tochter ihren Schulabschluss. „Und somit ist für mich der perfekte Zeitpunkt gekommen, um nach Deutschland zurückzukehren“, sagt Katja Simon. Ihr Mann wird sie als Gastprofessor ans MDC begleiten.

Simons Forschungslaufbahn verlief nicht immer geradlinig. Es sei ihr deshalb ein Anliegen, gerade junge Wissenschaftlerinnen als Mentorin zu unterstützen und zu fördern, sagt sie. Noch ist Simon, Tochter einer Fotografin und eines Schriftstellers und Journalisten allerdings vorrangig damit beschäftigt, ihr künftiges Labor aufzubauen. Viel Zeit, um ihre alte und neue Heimatstadt Berlin besser kennenzulernen, bleibt ihr momentan nicht. „Aber ich freue mich schon sehr darauf, wieder ins Berliner Kulturleben einzutauchen, in den zahlreichen Seen schwimmen zu gehen oder entlang ihrer Ufer zu joggen und Fahrrad zu fahren“, sagt die Forscherin.

Ohne Autophagie altern Zellen deutlich schneller

Ebenso freut sie sich auf ihre vielen neuen Kolleg*innen und mögliche gemeinsame Projekte. „Für mich ist es eine wunderbare Aussicht, zum Beispiel die Proteomik- und Transkriptomik-Plattformen mitnutzen zu können.“ Denn noch gibt es viele offen Fragen zur Autophagie der Körperabwehr. „Ich möchte zum Beispiel detaillierter herausfinden, wie langlebige Immunzellen – etwa T- oder B-Gedächtniszellen, denen es unter anderem zu verdanken ist, dass eine Impfung uns meist viele Jahre lang schützt – mithilfe der Autophagie kaum altern“, sagt Simon. Dass Zellen dies gelingt, hat die Forscherin bereits in früheren Experimenten mit Mäusen gezeigt: Die Tiere alterten deutlich schneller, wenn ihre Gene für die Autophagie ausgeknockt waren.

Wir haben im Jahr 2010 zum ersten Mal die Autophagie in blutbildenden Stammzellen stillgelegt. Die für uns zunächst unerklärliche Folge war, dass die Mäuse gelbes Blut bekamen.
Katja Simon
Katja Simon Leiterin der Arbeitsgruppe "Autophagie im Immunsystem"

An ein Experiment in ihrer wissenschaftlichen Karriere erinnert sich Simon besonders gerne. „Wir haben im Jahr 2010 zum ersten Mal die Autophagie in blutbildenden Stammzellen stillgelegt“, erzählt sie. „Die für uns zunächst unerklärliche Folge war, dass die Mäuse gelbes Blut bekamen.“ Sie litten, wie sich später herausstellte, an schwerer Anämie, weil die roten Blutkörperchen ihre Organellen nicht mehr abbauen konnten. Aus diesem Grund hatten die Zellen sowohl ihre spezielle Form als auch ihre Funktion verloren.

Neue Kraft für ein geschwächtes Immunsystem

Am MDC möchte Simon nun auch nach Substanzen suchen, mit denen sich die Autophagie in Immunzellen ankurbeln lässt. Denn auf diese Weise, so hofft die Forscherin, könnte man die Körperabwehr, die mit steigendem Alter an Kraft verliert, verjüngen und somit wieder stärken. „Ich habe mir fest vorgenommen, die Ergebnisse meiner Forschung an Zellen und Tieren dem Menschen zugutekommen zu lassen“, sagt Simon. Eine erste klinische Studie mit 40 Proband*innen hat sie in Großbritannien bereits begonnen. Mit ihr will sie untersuchen, ob die Substanz Spermidin, die in Zellen die Autophagie aktiviert und das Leben von Mäusen nachweislich verlängert, dem Immunsystem zu besseren Gedächtniszellen verhilft – und damit den Schutz der Corona-Impfung verlängert.

Text: Anke Brodmerkel