Wer war Max Delbrück?
Delbrück arbeitete in den 1930er Jahren mit der Kernforscherin Lise Meitner in Berlin-Dahlem und organisierte während dieser Zeit wissenschaftliche Konferenzen in seinem Privathaus in Berlin-Grunewald. Ein regelmäßiger Gast dabei war Nikolai Timofeev-Ressovski vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch. Timofeev berichtete über seine Methode, mit Röntgenstrahlen Mutationen im Versuchstier Fruchtfliege zu erzeugen. Diese Technik hatte zuerst der amerikanische Genetiker Hermann Muller entwickelt, wofür er später ebenfalls den Nobelpreis erhielt. Er führte Timofeev in die Methode ein, als er 1932-1933 für einige Monate in Berlin-Buch mit ihm zusammenarbeitete. Die Röntgenbestrahlung beschleunigte die Mutationsforschung, denn während früher die Biologen auf das seltene spontane Auftreten von Mutationen geduldig warten mussten, konnten sie sie jetzt in großer Anzahl erzeugen.
Delbrück war häufig bei Timofeev und seinem Mitarbeiter Karl Zimmer zu Gast. Beide hatten entdeckt, dass die Anzahl von Mutationen parallel zur Röntgendosis anstieg. Dieser Effekt ermöglichte die Ausarbeitung einer physikalisch-chemischen Theorie des Gens anstelle der abstrakten Konzepte, die vorher herrschend waren. Die drei Männer formulierten gemeinsam eine klare Hypothese, worüber zahlreiche Forscher zuvor vergeblich nachgedacht hatten. Diese Hypothese wurde zum zentralen Thema der Forschung. Wenn Gene chemische Einheiten wären, die in linearer Weise entlang der Chromosomen angeordnet wären, so führten sie aus, dann könnte man annehmen, dass die Röntgenstrahlen an zufälligen Stellen des Chromosoms einen Bruch setzen und damit das Gen, wo immer es getroffen würde, spalten. Die Dosierungsexperimente führten sogar zu einer Berechnung der Größe und anderer Eigenschaften der Gene. Das war das erste Mal, dass der Begriff des Gens realistisch fassbar wurde.
Delbrück, Timofeev-Ressovski und Zimmer fassten ihre noch recht spekulativen Ideen in einem Artikel zusammen, der den Namen „das grüne Pamphlet“ erhielt, in Anspielung auf die Farbe seines Einbandes. Es wurde aufmerksam von einem interdisziplinär interessierten Publikum gelesen, unter anderem von dem Physiker Erwin Schrödinger, der aus ihm Ideen für sein bekanntes Buch „Was ist Leben?“ ableitete. Beide Arbeiten zusammen motivierten die Forscherwelt zu einem „Generalangriff “ auf die Natur des Gens, die dann schließlich von James Watson und Francis Crick aufgeklärt wurde. Die Arbeit, die Delbrück den Nobelpreis einbrachte, entstammt einer späteren Zusammenarbeit mit Salvador Luria in den USA. Den beiden Autoren gelang der grundsätzliche Nachweis, dass Mutationen in der Natur zufällig entstehen und nicht etwa durch Anpassung und Erwerbung erworbener Eigenschaften. Diese Arbeit löste einen Streitpunkt zwischen Anhängern der Evolutionstheorie von Charles Darwin, die behaupteten, dass Organismen spontan zufällige Variationen erwerben, und Anhängern einer früheren Auffassung von Lamarck und anderen, die lehrten, dass Organismen Eigenschaften erwerben würden, die dann weiter vererbt werden könnten. Delbrück und Luria züchteten Bakterien in Zellkulturen, die Phagenviren enthielten und damit alle Bakterien auflösten, die während des Experiments keine Resistenz entwickelt haben. Wenn Bakterien diese Resistenz als Antwort auf das Auftreten der Phagen gezielt entwickeln würden, so ging die Überlegung, dann sollte jede Kultur ungefähr die gleiche Anzahl von Überlebenden enthalten. Der Versuch ging jedoch anders aus – die Resultate waren hoch variabel, was sich nur durch das Vorhandensein von Zufallsmutationen erklären lässt.
Delbrück setzte seine Forschungen bis ins Alter fort und erwarb sich eine hohe Reputation als Lehrer und Mentor. Sein Leben lang war er auch Berlin eng verbunden, nämlich wegen seines Einsatzes für die Malerin Jeanne Mammen, die sein Porträt 1973 malte. Es hängt noch heute im Vorstandszimmer. Delbrück sandte viele Care-Pakete, vor allem in der Hungerzeit vor und nach Kriegsende und half ihr auch in ihrem Beruf, indem er Bilder ankaufte. Er hat auch einen fotografischen Katalog aller ihrer Werke angelegt.
Dies ist eine stark gekürzte Version des Editorials von Friedrich C. Luft, welches unten verlinkt ist.
Quelle
Friedrich C. Luft (2007): „Who was Max Delbrück?“ Journal of Molecular Medicine. 85(3) p. 207-11.