Die ganze Geschichte über Probiotika
Unser Darm ist voller Bakterien – und die meisten davon sind nützlich. Nach und nach zeigt die Forschung, wie dieses Mikrobiom Gesundheit und Krankheit beeinflusst. Als nützlich – oder zumindest nicht schädlich – gelten Probiotika, also eine Mischung „guter“ Mikroben wie sie um Joghurt, Nahrungsergänzungsmitteln oder fermentierten Speisen vorkommen. Doch im Jahr 2018 hat eine Studie diese Annahme infrage gestellt. Denn die getesteten Probiotika verlangsamten in diesem Fall die Erholung des Mikrobioms nach einer Antibiotika-Therapie.
Um sich einen Überblick über das bisherige Wissen zu verschaffen und etwas Klarheit in die Diskussion zu den Probiotika zu bringen, hat sich ein Panel aus acht Expert*innen aus der Klinik, Statistik, Mikrobiologie und Mikrobiom-Grundlagenforschung zusammengefunden. Unter ihnen war Professorin Sofia Forslund, die Leiterin der Arbeitsgruppe „Wirt-Mikrobiom-Faktoren bei Herz-Kreislauferkrankungen“ am Max Delbrück Center und am Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung von Max Delbrück Center und Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Das Panel der „International Scientific Association for Probiotics and Prebiotics” hat seine Analyse jetzt in der Fachzeitschrift „Nature Reviews Gastroenterology and Hepatology“ veröffentlicht. Ihr Fazit: Bisher gibt es nicht genügend Daten, um weitreichende Schlüsse über Probiotika und die Erholung nach einer Antibiotika-Therapie zu ziehen. Die Antwort sei deutlich vielschichtiger. Vermutlich sei sie nicht nur von den Probiotika-Stämmen, sondern auch vom Gesundheitszustand des einzelnen Menschen abhängig. Forslund geht es nicht darum, Probiotika aufzugeben – im Gegenteil. Aber noch könne man nicht sagen, welche Probiotika welchen Menschen unter welchen Umständen helfen.
Wir haben mit Sofia Forslund über das Panel und die Ergebnisse gesprochen.
Warum hat das Panel mit einer Literaturanalyse begonnen?
Wir hinterfragen in dem Review systematisch unsere Grundannahmen. Was wissen wir wirklich? Anhand der Literatur kann man recht sicher sagen: Ja, Antibiotika verändern das Mikrobiom – und zwar bei manchen Menschen mehr und bei manchen Menschen weniger. Das hängt von vielen Faktoren ab, von der allgemeinen Gesundheit bis hin zu wiederholten Antibiotika-Therapien. Und natürlich brauchen wir Antibiotika, um bestimmte Infektionen in den Griff zu bekommen.
Was haben Sie über die Probiotika rausgefunden?
Einige Meta-Analysen haben gezeigt, dass Probiotika hilfreich sind. Es gibt auch einzelne Studien, die den schützenden Effekt statistisch nachweisen. Aber das zieht sich nicht konsistent durch die Literatur. Um verlässlich vorherzusagen, ob und wann Probiotika nach der Antibiotika-Therapie einen schützenden Effekt haben, gibt es einfach nicht genug Daten.
Hielt die Studie aus dem Jahr 2018, die Probiotika für eine langsamere Erholung des Mikrobioms verantwortlich machte, der Prüfung stand?
Wir haben die Daten noch einmal analysiert, der Ansatz ist völlig in Ordnung. Aber die Studie zeigt exemplarisch die Herausforderungen unserer Forschung: Es gibt so viel Heterogenität! Sowohl das Mikrobiom als auch der Gesundheitszustand variiert ganz stark von Person zu Person und somit finden auch die Probiotika jeweils andere Ausgangsbedingungen vor. Das kann beeinflussen, wie ein Mensch auf Probiotika reagiert. Es kommt auch darauf an, welche Probiotika gegeben werden. In unserem Feld muss man diese Vielfalt wirklich im Blick behalten, wenn wir Studien planen.
Wie war die Zusammenarbeit mit den internationalen Expert*innen?
Wir hatten teils sehr provokante Diskussionen darüber, was wir über Probiotika und Mikrobiome wissen. Ist die Vielfalt der Mikroben zum Beispiel immer mit einer stabileren Gesundheit verknüpft? Wir können uns da nicht immer einigen. Für mich heißt das: Wir brauchen Studien, deren statistische Aussagekraft besser ist. Ich fand das sehr anregend und inspirierend!
Was sollten Leserinnen und Leser im Kopf behalten?
Ich hoffe, dass es keine Überreaktion gibt. Man sollte sich einfach klar machen, dass diese Themen gerade erforscht werden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Probiotika gefährlich wären. Bei einigen Krankheiten sind sie definitiv hilfreich. Wir können aber keine Garantie dafür geben, dass Probiotika die Schäden einer Antibiotika-Therapie lindern können. Ich sage den Menschen immer noch, dass man vermutlich schon vor der Antibiotika-Therapie Probiotika nehmen sollte. Aber wir wissen nicht, welchen Vorteil das bringt. Es ist ein bisschen frustrierend, dass wir da noch keine klaren Aussagen machen können. Wir müssen also weiterforschen.
Interview: Laura Petersen
Weiterführende Informationen
Literatur
Hania Szajewska et al. (2024): „Antibiotic-perturbed microbiota and the role of probiotics“. Nature Reviews Gastroenterology & Hepatology, DOI: 10.1038/s41575-024-01023-x