Darmtumor (2)

Die Signaturen der Bauchfell-Metastasen

Auf welche Therapie Darmkrebs-Fernmetastasen ansprechen, könnten neue Biomarker vorhersagen. Wie Forschende von MDC, Charité sowie Industriepartnern im Fachblatt „Molecular Cancer“ berichten, haben sie die molekularen Signaturen mit Maus- und 3D-Modellen identifiziert.
Im Bauchraum ist viel Platz. Hier wuchern sekundäre Tumore lange unerkannt. Und wenn sie entdeckt werden, haben sie sich meist schon stark ausgebreitet.
Dr. Mathias Dahlmann Erstautor der Studie

Mit der chirurgischen Entfernung des Primärtumors ist es meist nicht getan. Jede zweite Darmkrebspatientin oder Darmkrebspatient entwickelt Fernmetastasen. Bei etwa 30 Prozent entstehen sie im Bauchfell – dem Peritoneum. Und das ist tückisch. „Normalerweise fordern Metastasen ab einer bestimmten Größe Raum. Das führt dann etwa zu Schäden in der Leber oder Lunge. Oder zu Verhaltensauffälligkeiten, wenn sie im Gehirn wachsen. Doch im Bauchraum ist viel Platz. Hier wuchern sekundäre Tumore lange unerkannt. Und wenn sie entdeckt werden, haben sie sich meist schon stark ausgebreitet“, sagt Dr. Mathias Dahlmann vom Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) und Charité – Universitätsmedizin Berlin. Er ist einer von drei Erstautor*innen der Studie. Damit Patient*innen in diesem fortgeschrittenen Krebsstadium noch möglichst viel Lebenszeit bleibt, sollte keine Zeit mit erfolglosen Therapien vergeudet werden. Doch die Frage, welche die effektivste ist, kann nur die Metastase selbst beantworten.

Während an Leber- oder Lungenmetastasen bereits länger geforscht wird, weiß man über Bauchfellmetastasen nur wenig. Zeit, das zu ändern, fanden Professorin Ulrike Stein, Letztautorin und Leiterin der Arbeitsgruppe „Translationale Onkologie solider Tumore“ am ECRC, Charité und MDC, und Professorin Beate Rau, Tumor-Chirurgin und Leiterin des Peritonealkarzinose-Zentrums der Charité. „Patient*innen mit Bauchfellmetastasen haben die schlechteste Prognose, verglichen mit allen anderen Metastasierungsorten“, betont Beate Rau.

Gezeigt wird ein dünner Schnitt durch einen Tumor aus einem PDX-Modell. Durch die histologische Färbung sind Strukturen der Tumorzellen und der Tumorumgebung (Stroma) erkennbar.

Ein einzelnes Modell reicht nicht

„Im Rahmen eines durch den Europäischen Fond für Regionale Entwicklung (EFRE) geförderten Projektes haben wir zunächst operativ entfernte Bauchfellmetastasen von zehn Patient*innen grundlegend charakterisiert und dann weitere Forschungspartner ins Boot geholt“, erzählt Ulrike Stein. Ein Teil des Tumorgewebes wurde direkt nach Entnahme an die EPO GmbH nach Berlin-Buch geschickt. EPO ist spezialisiert auf Tiermodelle, wie „Patient derived Xenografts“ (PDX). Dabei werden Mäusen kleine Tumorwürfel unter die Haut gepflanzt, wo sie an- und weiterwachsen. „Mausmodelle sind im Vergleich zu Zellkulturen allerdings relativ langsam. Es dauert ein bis zwei Monate, bis man Tumore geeigneter Größe erhält und mitunter ist der Patient inzwischen verstorben“, sagt Mathias Dahlmann. Deshalb nutzten die Forschenden noch eine zweite Technologie.

Parallel ging also ein weiteres Stück des Patienten-Tumorgewebes an die CELLphenomics GmbH, um daraus Organoide wachsen zu lassen. Damit solche Miniaturabbilder des Tumorgewebes (PDO-Modelle) entstehen können, wird das Gewebe im Labor aufgearbeitet und in eine gelartige Matrix eingebettet, die das Bindegewebe des Körpers biochemisch nachahmt. Dort wachsen die Tumorzellen so weiter, dass die Organoide die Architektur des Orginalgewebes widerspiegeln und – anders als in 2D-Zellkulturen – auch die Heterogenität des Tumors rekapitulieren können. In kurzer Zeit lassen sich so beliebig viele, mikroskopisch kleiner Tumore eines/r Patient*in züchten, an denen die Forschenden dann 17 Standard-Therapeutika testeten.

Beide Modellsysteme zusammen ergaben ein aussagekräftiges Bild. Wirkstoffe an Modellsystemen zu testen, war jedoch nur ein Ziel. Die Forschenden ging es vor allem darum, spezifische molekulare Marker in den Krebszellen finden. Gene, die mutiert oder besonders aktiv in bestimmten Metastasen sind, die auf Behandlung X, Y oder Z ansprechen – um anhand dieser Biomarker individuelle Vorhersagen für die Therapie machen zu können.

Wie könnte man die Metastasen behandeln?

Man darf nicht vergessen, woran Krebspatient*innen sterben. In den allermeisten Fällen nicht am Primärtumor – sondern zu 90 Prozent an den Metastasen.
Prof. Dr. Ulrike Stein
Prof. Dr. Ulrike Stein Letztautorin und Leiterin der AG „Translationale Onkologie solider Tumore“

Mathias Dahlmann bereitete die Gewebeproben beider Modellsysteme und weitere Proben aus der Tumordatenbank für die Genomanalysen vor. Diese wurden dann zentral vom „Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung“ in Heidelberg durchgeführt. Anschließend machte sich Proteomics-Spezialist Dr. Philipp Mertins am MDC an die Arbeit, um die nächste Ebene zu analysieren: die von den Genen kodierten Proteine. Alle Rohdaten landeten dann wieder bei Mathias Dahlmann, der nun in einem Puzzle aus Millionen Teilen nach Mustern und Zusammenhängen suchte.

Und er fand Biomarker, die sich zur Vorhersage für das Therapieansprechen eignen. In 85 Prozent der Metastasenproben wurden schwerwiegende Mutationen des BRCA2-Gens gefunden, das eine zentrale Rolle bei der Reparatur von Zellschäden spielt. Bei den Wirkstofftests zeigte sich dann, dass ansonsten therapieresistente Metastasen mit dieser Signatur auf eine Kombination der Standard-Medikamente 5-FU mit zusätzlichem PARP-Inhibitor ansprachen. Bei anderen hemmte die Kombination von MEK- und PARP-Inhibitoren das Tumorwachstum erfolgreich.

Langer Weg in die Klinik

„Man darf nicht vergessen, woran Krebspatient*innen sterben. In den allermeisten Fällen nicht am Primärtumor – sondern zu 90 Prozent an den Metastasen“, betont Ulrike Stein. Bauchfellmetastasen treten nicht nur bei Darmkrebs auf, sondern auch bei anderen soliden Tumoren. Und Mutationen des BRCA2-Gens sind vor allem von anderen Krebsarten bekannt – an Brust, Eierstöcken, Magen oder Prostata. Auch hier versagt oft die Therapie der Metastasen.

Im nächsten Schritt wollen die Forschenden ihre Studien zunächst auf eine größere Anzahl Gewebeproben von Darmkrebspatient*innen ausweiten. Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, werden klinische Studien folgen. „Bis Patient*innen davon profitieren können, wird es noch dauern. Denn die Techniken, um die molekularen Veränderungen zu erkennen, müssen deutlich schneller und noch genauer werden“, sagt Beate Rau. „Aber wir sind bereits auf einem guten Weg.“

Text: Catarina Pietschmann

Weiterführende Informationen

Literatur

Mathias Dahlmann, Guido Gambara, Bernadette Brzezicha et al. (2021): „Peritoneal metastasis of colorectal cancer (pmCRC): Identification of predictive molecular signatures by a novel preclinical platform of matching pmCRC PDX/PD3D models”. Molecular Cancer, DOI: 10.1186/s12943-021-01430-7

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Gezeigt wird ein dünner Schnitt durch einen Tumor aus einem PDX-Modell. Durch die histologische Färbung sind Strukturen der Tumorzellen und der Tumorumgebung (Stroma) erkennbar. Foto: AG Stein, ECRC

Kontakt

Prof. Dr. Ulrike Stein
Leiterin der Arbeitsgruppe „Translationale Onkologie solider Tumore“
Experimental and Clinical Research Center, Charité – Universitätsmedizin Berlin und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
+49 30 9406-3432
ustein@mdc-berlin.de

Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den MDC-Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 60 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organübergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das MDC fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am MDC arbeiten 1600 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete MDC zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.