Der Arzt des MDC

Was haben zu kurze Finger mit dem Blutdruck zu tun und wie viel Salz schadet wirklich? Prof. Friedrich Luft ist nicht nur Forscher, sondern auch Arzt. Nun feierte er 75. Geburtstag.

Die Frühlingssonne wärmt kaum, doch auf den langen Balkonen kann man sich vorstellen, dass unter den bunten Markisen einst Kranke für einen Augenblick den Klinikalltag vergaßen. „Die Labore hinter uns waren Vierbettzimmer, mein eigenes Büro ist Teil der ehemaligen Schwesternstation“, sagt Friedrich Luft. „Da vorne, in dem Trakt mit dem Wandmosaik aus DDR-Zeiten, waren die OPs.“

Das Haus, in dem das Experimental and Clinical Research Center (ECRC) untergebracht ist, atmet für den Mediziner Geschichte. Von Anfang an waren hier Grundlagenforschung und Patientenversorgung verzahnt. Bereits die Hirnforscher Oskar und Cécile Vogt hatten die Klinik in den 1920er Jahren direkt neben ihrem Laborgebäude eingerichtet. „Das Konzept war visionär“, sagt Luft. Vom Krankenbett zur Laborbank und zurück, „bedside to bench“ und „bench to bedside“. Molekulare Medizin geht nur so, findet er. Bis heute.

Auch wenn die Stationen längst geschlossen sind, haben doch zwölf Hochschulambulanzen der Charité hier weiterhin ihren Platz. Viele Patienten kommen als Probanden. „Wir haben unter anderem eine Kammer für indirekte Kalorimetrie, die einzige ihrer Art in Deutschland, und eine Kammer, in der wir die Sauerstoffverhältnisse in großen Höhen nachstellen können“, erzählt Luft. In seiner Stimme schwingt Stolz mit. „Ich war leidenschaftlich gern Arzt“, sagt der 75-Jährige im Rückblick. „Ich wollte immer wissen, was den Leuten wirklich fehlt.“

Aus Friedrich wurde Fred Luft, ein Amerikaner

2007 hat er die Leitung des ECRC als Schnittstelle zwischen Charité und MDC übernommen und wandelte die ehemaligen Krankenzimmer nach und nach in Forschungsflächen um. Zuletzt kam ein neues Stammzelllabor dazu. Ab Mai steht abermals ein Teilabriss und Umbau bevor, dieses Mal für das Berlin Institute of Health.

Vielleicht wurden ihm Skepsis und Neugier gleichermaßen in die Wiege gelegt, als er am 4. März 1942 in Berlin geboren wurde. Der Vater, dem unter den Nazis die Professur an der Charité versagt geblieben war, zog 1947 mit seiner Familie in die USA. Dort wurden Wissenschaftler gebraucht, etwa am Lovelace Respiratory Institute in Albuquerque, wo die ersten Astronauten trainierten. Aus Friedrich wurde Fred Luft, ein Amerikaner. Er studierte Biologie in Colorado Springs und Medizin in Philadelphia.

Anders als viele seiner Kommilitonen ging er nach dem Abschluss nicht zu den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA, sondern machte eine Facharztausbildung als Internist an der Medizinischen Hochschule der Universität von Indiana. Von 1975 bis 1989 war er dort Professor für Nierenheilkunde. „Ein Glück“, schrieb vor einigen Jahren MDC-Gründungsdirektor Detlev Ganten über den Werdegang seines Kollegen. Vielleicht wäre sonst sein Interesse an patientenorientierter Forschung, an Bluthochdruck oder den Auswirkungen des Salzkonsums auf den Stoffwechsel weniger ausgeprägt.

Das seltsame Schicksal einer türkischen Familie

Bei dieser türkischen Familie wurde Bluthochdruck mit extremen Werten vererbt. Foto: Hakan Toka

In seine Heimatstadt Berlin kehrte er über einen Umweg zurück. Ein Sabbatical an der Heidelberger Universität brachte ihn 1984 ins Labor von Detlev Ganten. 1992 holte er ihn ans gerade gegründete MDC. Luft leitete hier fortan eine Forschungsgruppe zu molekularer Genetik kardiovaskulärer Erkrankungen, von 1993 bis 2010 war er außerdem Chefarzt für Innere Medizin und Nephrologie an der Franz-Volhard-Klinik.

Friedrich Luft schätzte die ungewöhnlichen Fälle, die Herausforderungen. Da war der Mann, dessen Kreislauf im Liegen ganz normal funktionierte. Doch wenn er aufstand, sackte der Blutdruck so rasch weg, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Ihm fehlte ein bestimmtes Enzym. Oder das seltsame Schicksal einer türkischen Familie. Wenn in ihrem Dorf am Schwarzen Meer ein Kind zur Welt kam, beobachteten die Angehörigen zuerst die Finger. Wuchsen sie nicht so recht und blieben die Hände zu klein, war ein früher Tod wahrscheinlich.

Unterschiedliches Finger-Wachstum innerhalb einer Familie. Foto: Sylvia Bähring

Ein türkischer Arzt, Nihat Bilginturan, hatte bereits in den 1970er Jahren entdeckt, dass innerhalb dieser Familie Bluthochdruck vererbt wird – mit extremen Werten bis zu 270/160 mmHg. Die Studie geriet in Vergessenheit. Erst als der Genetiker Thomas Wienker in den 1990er Jahren am MDC einen Vortrag über familiäre Sonderformen von Bluthochdruck halten sollte, entdeckte er sie in einer Bibliothek wieder. Friedrich Luft war begeistert.

„Solche Projekte gehen nicht weg“

Volkskrankheiten werden meistens durch subtile Wechselwirkungen vieler verschiedener Gene und Umweltfaktoren ausgelöst. Diese Gene zu finden, ist sehr schwer. Bei der türkischen Familie dagegen verursachte offenbar ein einzelnes Gen den Bluthochdruck. Diesen Verdächtigen könnte man besser einkreisen, hofften die Forscherinnen und Forscher um Friedrich Luft. Sie ahnten nicht, dass sie das Projekt und die Familie mehr als 20 Jahre begleiten würden. Erst 2015 konnten sie in „Nature Genetics“ verkünden, dass der Schuldige gefunden war: eine mutierte Form des Enzyms PDE3A. Es reguliert nicht nur den Blutdruck, sondern beeinflusst auch das Knochenwachstum.

Damals dachte Luft, die Gensequenz sei geknackt und das Problem somit erledigt. „Zeit für die Rente!“, sagt Luft und lacht über sich selbst. „Aber solche Projekte gehen nicht weg.“ Seine Gruppe hat das Gen nun bei Tieren verändert und beobachtet, ob sie Bluthochdruck entwickeln. Außerdem meldeten sich etliche Familien, die ähnliche Symptome kannten. Auch ihr Erbgut haben die Forschenden entschlüsselt. Statt nur die Gensequenz zu betrachten, wollen sie gemeinsam mit Strukturbiologinnen und Strukturbiologen die dreidimensionale Form des Eiweißes aufklären und den Mechanismus finden, der zu den Problemen führt.

„Wissenschaft ist manchmal wie die Suche nach einer schwarzen Katze in einem dunklen Raum – und oft wir wissen nicht einmal, ob sie drin ist“, sagt Luft. Erst nach und nach begreife man, wie viele Unbekannte man vorher gar nicht beachtet habe. Die Neugier treibt Friedrich Luft immer weiter. Und was wünscht er dem MDC? „Dass es seiner einzigartigen Mission gerecht wird und weiter mit Klinikern zusammenarbeitet, die bereit sind, hochwertige Grundlagenforschung zu machen."


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