Wie Gene Herzmuskelentzündungen im Kindesalter beeinflussen
Herzmuskelentzündungen sind mit ein bis zwei Fällen auf 100.000 Kinder pro Jahr relativ selten. Dennoch ist die Herzmuskelentzündung (Myokarditis) eine der häufigsten Ursachen für Herzschwäche und Herzversagen im Kindesalter. Die Entzündung kann die Folge einer Virusinfektion sein und trifft vorrangig Kleinkinder unter zwei Jahren und Jugendliche über 13 Jahren. „Letztere kommen eher mit Herzrhythmusstörungen oder Herzschmerzen, die an Angina pectoris erinnern, in die Erste Hilfe. Sie zeigen typische EKG-Veränderungen. Bei Säuglingen sind die Symptome unspezifischer: Sie fühlen sich unwohl, sind lethargisch und trinken kaum“, sagt Professorin Sabine Klaassen, Letztautorin der Studie und Leiterin der Arbeitsgruppe „Klinische Kardiogenetik“ am Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Doch während bei manchen Kindern Bettruhe, Verzicht auf Sport und die Gabe von Immunglobulinen ausreichen, benötigen andere Medikamente zur Herzunterstützung, mitunter kurzfristig ein Kunstherz oder gar eine Herztransplantation. „Schwere Verläufe sehen wir vor allem in der jüngsten Altersgruppe. Mehr als die Hälfte der Kleinkinder leidet zudem an einer dilatativen Kardiomyopathie. Ihre Herzfunktion ist also eingeschränkt, weil der Herzmuskel der linken Herzkammer vergrößert ist“, sagt Dr. Franziska Seidel, Erstautorin der Studie und Assistenzärztin für Kinderkardiologie an der Charité und an der Klinik für Angeborene Herzfehler – Kinderkardiologie des Deutschen Herzzentrums Berlin.
Gendiagnostik könnte wichtige Anhaltspunkte liefern
Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder, die neben der Herzmuskelentzündung auch an dilatativer Kardiomyopathie leiden, ein höheres Risiko haben, eine dauerhafte Herzschwäche zu entwickeln oder sogar zu versterben.
Sichere Anhaltspunkte dafür, welchen Verlauf die Erkrankung nehmen wird, gab es bisher nicht. Das wollen die Berliner Wissenschaftler*innen mit ihrer Arbeit ändern: Um herauszufinden, ob genetische Faktoren die individuelle Prognose beeinflussen, analysierten die beiden Forscherinnen gemeinsam mit weiteren Kolleg*innen vom Deutschen Herzzentrum Berlin und dem Kompetenznetz Angeborene Herzfehler Gewebe und Blut von 42 Kindern mit Herzmuskelentzündung. In der Studie wurden 20 Kinder mit und 22 Kinder ohne dilatative Kardiomyopathie untersucht. Dabei wurde bei allen Kindern die Herzmuskelentzündung in einer Herzmuskelbiopsie diagnostiziert. Der ECRC-Forscher Dr. Jirko Kühnisch hat die DNA, die aus Patientenblut gewonnen wurde, sequenziert und die gewonnen Daten bioinformatisch ausgewertet.
Wie das Team nun in der Fachzeitschrift „Circulation: Genomic and Precision Medicine“ berichtet, zeigte sich eine Häufung von seltenen, krankheitsverursachenden Genvarianten bei Patient*innen mit Herzmuskelentzündung und dilatativer Kardiomyopathie. Diese genetischen Defekte traten überwiegend bei Kleinkindern mit schweren Krankheitsverläufen auf. „Wir haben Varianten in Krankheitsgenen für dilatative Kardiomyopathie gefunden. Diese Gene kodieren für Bestandteile der kontraktilen Einheiten der Herzmuskelzellen, wie Titin oder das kardiale Troponin I. Aber auch in Genen mit anderen Zellfunktionen wie Desmoplakin oder BAG3 wurden genetische Defekte gefunden“, sagt Jirko Kühnisch, der gemeinsam mit Sabine Klaassen Letztautor der Studie ist. Die Genvarianten folgen dem Mendelschen Erbgang und wurden nach bioinformatischen Kriterien als krankheitsverursachend bewertet, weshalb die Forscher sie als „pathogen“ bezeichnen.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder, die neben der Herzmuskelentzündung auch an dilatativer Kardiomyopathie leiden, ein höheres Risiko haben, eine dauerhafte Herzschwäche zu entwickeln oder sogar zu versterben. Genetische Untersuchungen sollten deshalb vor allem bei Kleinkindern künftig Teil der Diagnostik sein. So kann frühzeitig eine individuell zugeschnittene medikamentöse Therapie eingeleitet und ein Herzunterstützungssystem wie das Berlin HeartÓ eingesetzt werden“, betont Sabine Klaassen. Auch für eine erfolgreiche Entwöhnung vom Kunstherz könnte die Gendiagnostik vorab wichtige Anhaltspunkte liefern.
Der nächste Schritt: mehr Daten sammeln
„Mit 42 Berliner Patient*innen war die Gruppe dieser Pilotstudie aufgrund der bei Kindern schwierig zu gewinnenden Herzmuskelbiopsien zwar relativ klein. Trotzdem sehen wir bereits, dass die Unterschiede sehr deutlich sind. Sowohl zwischen den Altersgruppen, also Kleinkind- und Jugendalter, als auch zwischen den Krankheitsformen – dilatativ und nicht dilatativ“, ergänzt sie. Das hat Sabine Klaassen überrascht, zumal es kaum genetische Daten zur Herzmuskelentzündung bei Erwachsenen gibt.
Um mehr Daten zu erhalten, wollen die Forschenden nun ihre Untersuchungen deutschlandweit mit Hilfe des 2013 am Deutschen Herzzentrum Berlin gegründeten Registers für Kinder und Jugendliche mit Verdacht auf Myokarditis – MYKKE erweitern. „Mit über 550 Patient*innen ist es inzwischen das größte Register für pädiatrische Myokarditis weltweit“, sagt Franziska Seidel, die als Studienärztin gemeinsam mit Dr. Daniel Messroghli vom Deutsches Herzzentrum Berlin und Professor Stephan Schubert vom Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen für MYKKE verantwortlich ist.
Text: Catarina Pietschmann
Weiterführende Informationen
- Mykke: Register für Kinder und Jugendliche mit Verdacht auf Myokarditis
- Kompetenznetz Angeborene Herzfehler
- Deutsches Herzzentrum Berlin
Literatur
Franziska Seidel et al. (2021): „Pathogenic Variants Associated with Dilated Cardiomyopathy Predict Outcome in Pediatric Myocarditis“. Circulation: Genomic and Precision Medicine, DOI: 10.1161/CIRCGEN.120.003250