Molekulare Mechanismen entschlüsseln und für Therapien nutzen
Der renommierte Ernst Jung-Preis für Medizin der Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung geht in diesem Jahr ans MDC. Der Berliner Neurobiologe Professor Dr. Gary R. Lewin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) wird für seine bahnbrechenden Forschungsarbeiten über die molekularen und physiologischen Grundlagen des Tastsinns und der Schmerzempfindung gewürdigt. Gemeinsam mit Lewin wird die Martinsrieder Biochemikerin Professor Dr. Brenda A. Schulman geehrt. Sie erhält die Auszeichnung in Würdigung und zur Fortsetzung ihrer wegweisenden Arbeiten über die Mechanismen des Ubiquitin-Transfers auf atomarer Ebene. Beide Wissenschaftler leisten mit ihrer Forschung wichtige Beiträge zum aktuellen Wissensstand in ihrem jeweiligen Fachgebiet. Sie teilen sich die Preissumme in Höhe von 300.000 Euro jeweils zur Hälfte. Der Preis wird heute, Donnerstag, den 23. Mai, in Hamburg verliehen.
Thomas Sommer, Wissenschaftlicher Vorstand des MDC (komm.) gratulierte beiden Preisträgern. „Dass Gary Lewin diesen Preis erhält, freut mich ganz außerordentlich. Lewin leistet am MDC seit vielen Jahren bahnbrechende Forschung. Seine Studien haben die Wissenschaft weitergebracht auf dem Weg zur Entwicklung von Therapien gegen den Schmerz“, sagte Sommer. „Ich freue auch für Brenda Schulman und gratuliere ihr von Herzen. Sie ist eine exzellente Kollegin, mit der ich seit langem zusammenarbeite und die ich überaus schätze“, sagte Sommer.
Die Reizweiterleitung im Tastsinn verstehen
Über die Haut können wir Berührungen, Druck, Wärme, Kälte oder Schmerz wahrnehmen. Dies geschieht über Sinneszellen und freie Nervenendigungen, die in der Hautoberfläche sitzen und für den Tastsinn sowie Temperatur- und Schmerzsinn verantwortlich sind. Professor Dr. Gary R. Lewin, Arbeitsgruppenleiter und Koordinator des Fachbereichs Erkrankungen des Nervensystems am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin, erforscht mit seinem Team, wie mechanische und thermische Reize von den Sinneszellen aufgenommen und in elektrische Signale transduziert werden. Hierzu untersucht die Arbeitsgruppe Nacktmulle, die aufgrund ihrer besonderen physiologischen Eigenschaften als Modellorganismus dienen.
Nacktmulle haben kein Fell und sind sehr berührungsempfindlich. Aufgrund ihrer Blindheit besitzen die Nagetiere einen besonders stark ausgeprägten Tastsinn, den sie zur sozialen Interaktion nutzen. Lewin konnte zeigen, dass dieser Spezies gewisse Arten der Schmerzwahrnehmung fehlen. Die Ursachen hierfür sowie die zugrundeliegenden Mechanismen weiter zu erforschen könnte dabei behilflich sein, neue Therapien und Mittel gegen Schmerz zu entwickeln. „Meine Begeisterung für die Forschung entstand während meiner Doktorarbeit, als ich die Erfahrung machte, Vorgänge zu messen, die zuvor noch nie jemand gemessen hatte“, schildert Lewin. „Wenn man realisiert, dass man etwas Bedeutendes entdeckt hat, geht es nie nur um ein einzelnes Ergebnis, sondern um viele kleine Fragmente – Experimente, Informationen –, die sich plötzlich wie ein Puzzle zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammenfügen. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich.“
Gary R. Lewin ist in Manx – auf der Isle of Man geboren – und in Douglas aufgewachsen. Der 54-Jährige ist verheiratet, hat drei Kinder und liebt es, mit seiner Familie zu reisen. Zudem absolviert er gerade seinen Segelfliegerschein.
Einem „ubiquitären“ Molekül auf der Spur
Das Molekül Ubiquitin dient als intrazelluläres Stop-Signal und kontrolliert, was in einer lebenden Zelle vor sich geht – ebenso wie Stop-Zeichen den Verkehr auf der Straße regeln. Die Bezeichnung „Ubiquitin“ resultiert daraus, dass die Moleküle „ubiquitär“, also „überall verbreitet“ in allen eukaryotischen Zellen vorkommen und dort eine Vielzahl unterschiedlicher biochemischer Reaktionen steuern, von der Zellteilung bis hin zur Abwehr bakterieller Infektionen. Zu jedem Zeitpunkt sind in jeder menschlichen Zelle Tausende Ubiquitin-Moleküle im Einsatz, die sich dazu an unterschiedliche spezifische Orte setzen müssen. Ist ihre Regulation gestört, kann dies zu Krankheiten führen, wie Krebs, neurodegenerative Erkrankungen oder hohem Blutdruck. Ubiquitin ist ein extrem kleines Molekül und kann nur unter extremer Vergrößerung im Elektronenmikroskop sichtbar gemacht werden.
Professor Dr. Brenda A. Schulman, Direktorin des Department of Molecular Machines and Signaling am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, hat gemeinsam mit ihren Kollegen zahlreiche Methoden entwickelt, mit denen sich das Ubiquitin-System darüber hinaus untersuchen lässt. Dabei bedienen sie sich Ansätzen aus Chemie, Zellbiologie, Massenspektrometrie, Biochemie und Strukturbiologie. „Ich habe das Gefühl, dass ich mehr als 20 Jahre lang auf Schatzsuche war und jetzt endlich zum ersten Mal die Schatztruhe aus der Ferne erkennen kann“, schwärmt Brenda A. Schulman. „Wir beginnen jetzt erst, dank der neuen Methoden, die allerersten wundervollen Schätze zu sehen. Und da Ubiquitin so allgegenwärtig ist, gibt es eine ganze Fundgrube an Schätzen zu entdecken. Das ist enorm aufregend!“
Die 51-jährige Forscherin stammt aus Tucson, Arizona. Bereits in ihrem dritten Highschool-Jahr entdeckte sie ihre Leidenschaft für die Chemie und Biologie und dafür, wie Moleküle erstaunliche Prozesse vollziehen. Neben ihrer Forschung geht sie regelmäßig Laufen und genießt die freie Zeit mit ihrem Ehemann.
Über den Preis
Der Ernst Jung-Preis für Medizin mit einer Preissumme von 300.000 Euro zählt zu den höchstdotierten Medizinpreisen Europas. Die Jung-Stiftung hat diesen traditionsreichen Medizinpreis zum ersten Mal 1976 vergeben. Er würdigt Forscher und ihre Projekte, die wesentlich zum Fortschritt der Humanmedizin beigetragen haben und dies auch in der Zukunft erwarten lassen.
Die Kandidaten für den Preis werden nominiert, eine eigenständige Bewerbung ist nicht möglich. Unter den Kandidaten wählt das Stiftungskuratorium, das sich aus sechs renommierten internationalen Wissenschaftlern zusammensetzt, jedes Jahr im November den Preisträger des Folgejahres aus. Dabei legen sie ihr Augenmerk auf Arbeiten, die von besonderer klinischer Relevanz sind und die Umsetzung in neue wirksame Therapieansätze erwarten lassen.
Die Preisträger des Ernst Jung-Preises für Medizin gehören zu den Spitzenvertretern ihres Fachs. Durchweg erhalten sie im Laufe ihrer Karriere weitere bedeutende Auszeichnungen, zwei von ihnen wurden gar mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet.
Weiterführende Informationen
- Die Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung
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Die Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung mit Sitz in Hamburg wurde 1967 von dem Hamburger Unternehmer Ernst Jung gegründet. Ihre Arbeit unter Leitung des Vorstandsvorsitzenden Jochen Spethmann zielt darauf, die humanmedizinische Forschung voranzubringen, neue Therapien zu fördern und den Wissenschaftsstandort Deutschland zu stärken. Jedes Jahr vergibt die Stiftung dazu drei Auszeichnungen, die mit einer Gesamtdotierung von 540.000 Euro zu den höchstdotierten Medizinpreisen Europas zählen: Den Ernst Jung-Preis für Medizin, die Ernst Jung-Medaille für Medizin in Gold sowie den Ernst Jung-Karriere-Förderpreis für medizinische Forschung. Um den Förderpreis können sich talentierte Nachwuchsmediziner direkt bewerben; die Kandidaten für die anderen Auszeichnungen werden nominiert.
- Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin
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Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) wurde 1992 in Berlin gegründet. Es ist nach dem deutsch-amerikanischen Physiker Max Delbrück benannt, dem 1969 der Nobelpreis für Physiologie und Medizin verliehen wurde. Aufgabe des MDC ist die Erforschung molekularer Mechanismen, um die Ursachen von Krankheiten zu verstehen und sie besser zu diagnostizieren, verhüten und wirksam bekämpfen zu können. Dabei kooperiert das MDC mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Berlin Institute of Health (BIH) sowie mit nationalen Partnern, z.B. dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DHZK), und zahlreichen internationalen Forschungseinrichtungen. Am MDC arbeiten mehr als 1.600 Beschäftigte und Gäste aus nahezu 60 Ländern; davon sind fast 1.300 in der Wissenschaft tätig. Es wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Berlin finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.
Pressekontakte
Jutta Kramm
Leiterin Kommunikation
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
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