Das Massensterben der Neuronen verhindern
Bei der Alzheimer-Erkrankung schrumpft das Gehirn. Die Folgen: schleichender Gedächtnisverlust, zunehmende Verwirrung, Verhaltensänderungen. Was genau dafür verantwortlich ist, ist trotz jahrzehntelanger Forschung noch immer unbekannt.
Dabei ist das Alzheimer-Gehirn gut kartiert: Neben den typischen Plaques zwischen den Nervenzellen finden sich in den Zellen Tau-Fibrillen. Das Tau-Protein ist unverzichtbar, weil es auf das Liefersystem in den Zellen wirkt und potenziell dafür sorgt, dass Nährstoffe von A nach B kommen. Bei Alzheimer ist es chemisch jedoch so verändert, dass seine Funktion in der Zelle in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Zellen verlieren ihre Form, funktionieren nicht mehr und verkümmern. Ein drittes typisches Merkmal sind Fett-Ansammlungen.
Finanzspritze für Alzheimer-Forschung
Dr. Melissa Birol will wissen, wie sich die Tau- und Fettablagerungen in den Neuronen auf das Gehirn auswirken. Sie leitet die Arbeitsgruppe „Single Molecule Biophysics probing Quantitative Neuroscience“ (Biophysik auf Einzelmolekül-Ebene für die quantitativen Neurowissenschaften) am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Centers (MDC-BIMSB). Nach der US-amerikanischen Alzheimer’s Foundation unterstützt sie dabei nun auch die gemeinnützige Alzheimer Forschung Initiative (AFI). Für die nächsten drei Jahre erhält die Wissenschaftlerin ab Mai 2024 insgesamt 193.500 Euro für ihr Vorhaben. Die AFI ist der größte private Förderer der Alzheimer-Forschung in Deutschland.
„Wir vermuten, dass durch die Ausbreitung von Tau von Zelle zu Zelle die Fette in den Nervenzellen falsch verteilt werden“, erläutert Melissa Birol. „Dadurch haben die Neuronen keinen richtigen Zugriff mehr auf die Fette.“ Sie benötigen diese jedoch, um ihre Funktionen aufrechtzuerhalten und mit anderen Neuronen zu kommunizieren. Birol und ihre Mitstreiter*innen wollen dieses unselige Zusammenspiel von Tau- und Fett-Ansammlungen beenden.
Sichtbare Tau-Fett-Haufen in Hirnorganoiden
„Dafür müssen wir zunächst verstehen, warum sich Tau und Fette in den Neuronen anreichern und wie sich Tau während der Krankheit von Zelle zu Zelle ausbreitet“, sagt die Biophysikerin. Um den Beginn der Demenz zu untersuchen, haben sie und ihr Team Hirn-Organoide gezüchtet, stecknadelkopfgroße Mini-Organe. Mithilfe moderner bildgebender Verfahren ist es den Forschenden gelungen, Tau-Fett-Ansammlungen in den Organoiden sichtbar zu machen. So können sie deren Form und Zusammensetzung analysieren und beobachten, wie sie sich auf den Stoffwechsel und die Aktivität der Nervenzellen auswirken. Auf diese Weise wollen sie herausfinden, wie die Fette während des Krankheitsverlaufs die Ausbreitung von Tau beeinflussen und umgekehrt. Wenn ihnen das gelingt, könnten sie nach therapeutischen Ansätzen suchen, die genau jene Tau-Fett-Ansammlungen ins Visier nehmen, die die Zellen nach und nach zerstören.
Text: Jana Ehrhardt-Joswig