Blick aus dem Publikum auf eine Bühne, auf der eine Podiumsdiskussion stattfindet

Ohne Vielfalt keine Präzisionsmedizin

Biomedizinische Forschung orientiert sich meist am weißen Mann. Wie man das ändern und Vielfalt besser in den Laboren berücksichtigen kann, diskutierten Berliner Forscher*innen während der Berlin Science Week. Sie hatten keine Zeit? Wir haben die Veranstaltung für Sie als Video dokumentiert.

Der Saal im Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Center (MDC-BIMSB) ist gut gefüllt, viele junge Frauen und ein paar Männer blicken erwartungsvoll zum Podium. Dort werden an diesem Abend sieben Forscherinnen zu Wort kommen. Sie diskutieren anlässlich der Berlin Science Week über „Geschlechtsspezifische Ungleichheiten in medizinischer Forschung und Praxis“.

Biomedizinische Forschung orientiert sich meist am weißen Mann. Doch was für den stimmt, kann für Frauen, sehr alte Menschen oder andere Ethnien falsch sein. Wer die Präzisionsmedizin von morgen prägen will, muss die unterschiedlichen Aspekte einbeziehen, erläutert Professorin Maike Sander, Wissenschaftliche Vorständin des Max Delbrück Center. Ein Beispiel aus ihrem eigenen Fachgebiet, der Diabetesforschung: Inuit erkranken besonders häufig an Diabetes Typ II, weil ihre Körper auf eine Fett-Eiweiß-Kost ohne Kohlenhydrate spezialisiert sind. Auch die bestehenden Medikamente helfen ihnen nicht so gut. „Das zeigt, dass wir mehr Vielfalt in unserer Belegschaft und in unseren Fragestellungen brauchen. Diese beiden Aspekte sind eng miteinander verknüpft, denn wenn die Betroffenen nicht mit am Tisch sitzen, werden wir ihre Bedürfnisse in unserer Forschung wahrscheinlich auch nicht berücksichtigen“, sagt sie.

„Natürlich lohnt sich das“

Den Reigen der Kurzvorträge eröffnet Professorin Sofia Forslund-Startceva und macht klar: „Das biologische Geschlecht ist eine komplizierte Angelegenheit“. Zwar steuern die Hormone etwa bei Frauen eine Menge, aber eben nicht alles. Dr. Claudia Crocini erklärt, warum Diversität wichtig in der Grundlagenforschung ist: So unterscheiden sich Herzzellen und sogar einzelne Moleküle bei Männern und Frauen in ihrer Zusammensetzung voneinander. „Wenn wir Diversität stärker berücksichtigen, wird Forschung reproduzierbarer und wirkungsvoller, man kann mehr entdecken, und am Ende profitieren mehr Menschen“, sagt die Forscherin.

Auf der Bühne: Die Forscherinnen Claudia Crocini, Gertraud (Turu) Stadler, Hanna Hörnberg, Lieke Lotte van de Haar, Sabine Klaassen und Sofia Forslund-Startceva während der Podiumsdiskussion.

Und in der Praxis? „Wenn wir Forschung diverser machen wollen, nimmt sie mehr Zeit in Anspruch, wird also deutlich teurer. Aber natürlich lohnt sich das“, stellt Dr. Hanna Hörnberg in der abschließenden Diskussion klar. Wir sollten dem Beispiel von Ländern wie Kanada folgen und die Rahmenbedingungen für Forschung ändern, fordert Professorin Gertraud Stadler. Kategorien wie Ethnizität oder Geschlecht müssten dann bei Studien zwingend berücksichtigt werden – und diese Kategorien sollten auch mehr Gewicht in Peer-Review-Prozessen haben, wie Sofia Forslund-Startceva ergänzt. Dabei muss Forschung nicht sofort alle denkbaren Aspekte einschließen: „Obwohl die Einbeziehung aller denkbaren Aspekte der Vielfalt für die personalisierte Medizin notwendig ist, müssen nicht alle Forschungsprojekte allen zugute kommen: Ich denke, es ist in Ordnung, wenn einige Forschungsprojekte nur Frauen zugute kommen, es ist in Ordnung, Forschung zu betreiben, die nur einer kleineren Gruppe zugute kommt. Schließlich sind Frauen nicht einmal eine kleine Gruppe“, sagt Hanna Hörnberg. Das Publikum ist ihrer Meinung.

Text: Wiebke Peters

 

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