Abbildung von Beta-Amyloid-Plaques

Fehlfaltung im Alzheimer-Gehirn

Erich Wanker möchte herausfinden, inwieweit fehlgefaltete und damit krankhafte Amyloid-Eiweiße auch andere Proteine der Nervenzellen strukturell verändern – und so zum Fortschreiten der Alzheimer-Demenz beitragen. Dafür hat er von der privaten „Alzheimer Forschung Initiative“ 120.000 Euro erhalten.

Alzheimer entwickelt sich im Verborgenen. Bereits viele Jahre, bevor die ersten Zeichen der Erkrankung sichtbar werden, nimmt diese im Gehirn ihren unheilvollen Verlauf. Kleine Proteine, die Beta-Amyloid-Peptide, verändern aus noch unbekannten Gründen ihre räumliche Struktur. Dadurch werden sie klebrig und verklumpen zwischen den Nervenzellen zu Plaques. Das löst im Gehirn eine Entzündung aus, bei der sich Bündel ebenfalls fehlgefalteter Proteine, die Tau-Fibrillen, in den Zellen ansammeln. Irgendwann bedeuten die Fibrillen für die Zellen den sicheren Tod. Was genau diese tödliche Kaskade in Gang setzt, ist für die Wissenschaft aber noch immer ein großes Rätsel.

Krankhaft veränderte Eiweiße beeinflussen gesunde Proteine

Bei genetisch veränderten Mäusen, die ein Alzheimer-ähnliches Krankheitsbild entwickeln, treten im Gehirngewebe ebenfalls Beta-Amyloid-Plaques auf. Der Kern der Plaques erscheint hellblau, hier ist die typische Faltblattstruktur am stärksten ausgeprägt. In gelb und lila ist lose um den Kern angereichertes Beta-Amyloid zu sehen.

„Erst seit einigen Jahren weiß man, dass fehlgefaltete Beta-Amyloide offenbar in der Lage sind, auch andere Proteine umzuformen – ähnlich wie man es bei den vom Rinderwahn bekannten Prionen beobachten kann“, sagt Professor Erich Wanker vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC). „Kommt ein fehlgefaltetes Peptid mit einem gesunden Peptid in Kontakt, beginnt Letzteres ebenfalls, seine räumliche Struktur zu verändern“, erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe „Proteomforschung und molekulare Mechanismen bei neurodegenerativen Erkrankungen“. Auf diese Weise entstehen im Gehirn immer mehr der schädlichen Plaques. Auch beim Tau-Protein hat man solche Eigenschaften in Experimenten mit Mäusen bereits beobachtet. „Das bedeutet jedoch nicht, dass Alzheimer von Mensch zu Mensch weitergegeben werden kann“, betont Wanker. „Die Umfaltung erfolgt ausschließlich im Gehirn, von Protein zu Protein.“

Unklar ist bislang, ob die fehlgefalteten Amyloid- und Tau-Eiweiße ihre krankmachende Struktur nur untereinander übertragen können oder ob die Ausbreitung – das „Seeding“, wie Wanker es nennt – auch zwischen den beiden Proteinen erfolgen kann. Genau das möchte der MDC-Wissenschaftler jetzt gemeinsam mit seinem Team erforschen. Unterstützt wird er dabei in den kommenden drei Jahren, als einer von insgesamt elf prämierten Forscher*innen, von der gemeinnützigen Alzheimer Forschung Initiative e.V. (AFI). Sie stellt Wanker Fördermittel von insgesamt 120.000 Euro zur Verfügung. Die AFI ist der größte private Förderer der Alzheimer-Forschung an deutschen Universitäten und öffentlichen Einrichtungen. Seit dem Jahr 1995 sammelt der Verein private Spendengelder für sein wichtigstes Anliegen, Alzheimer eines Tages heilbar zu machen.

Ziel ist es, die Ausbreitung der Amyloide im Gehirn zu verhindern

Prof. Dr. Erich Wanker

„Ich freue mich sehr über diese Auszeichnung, mit deren Hilfe ich eine wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigen möchte und darüber hinaus Labormaterialien wie Zellkulturen oder synthetisch hergestellte Amyloid- und Tau-Proteine finanzieren kann“, sagt Wanker. „Unser Ziel ist es, in den nächsten Jahren Ansätze für neue Medikamente zu entwickeln, die die Vermehrung und die Ausbreitung der fehlgefalteten Proteine im Gehirn unterbinden.“

Zunächst plant der Forscher dazu Experimente mit Nervenzellen in der Kulturschale. „Die Zellen sind genetisch so verändert, dass Ansammlungen fehlgefalteter Eiweiße sichtbar werden“, erläutert Wanker. „Wir werden diese Proteine in Zellen einschleusen und dann untersuchen, ob die entstehenden Aggregate tatsächlich von Zelle zu Zelle weitergebeben werden.“ Ganz ähnliche Experimente sind mit Fruchtfliegen, also im lebenden Organismus, geplant. „Keines der bisher getesteten Medikamente gegen die Alzheimer-Demenz hat sich gegen das Seeding gerichtet“, sagt Wanker. Und vielleicht ist das ja zumindest einer der Gründe, warum man bei der Behandlung der Krankheit bislang kaum Erfolge erzielt hat.

Text: Anke Brodmerkel

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Bei genetisch veränderten Mäusen, die ein Alzheimer-ähnliches Krankheitsbild entwickeln, treten im Gehirngewebe ebenfalls Beta-Amyloid-Plaques auf. Der Kern der Plaques erscheint hellblau, hier ist die typische Faltblattstruktur am stärksten ausgeprägt. In gelb und lila ist lose um den Kern angereichertes Beta-Amyloid zu sehen. Foto: AG Wanker, Technologieplattform „Advanced Light Microscopy“.

Kontakt

Jana Schlütter
Redakteurin, Abteilung Kommunikation
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
Tel.: +49-(0)30-9406-2121
jana.schluetter@mdc-berlin.de oder presse@mdc-berlin.de

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den MDC-Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 60 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organübergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das MDC fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am MDC arbeiten 1600 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete MDC zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.