Mina Gouti

Mina Gouti erhält einen ERC Consolidator Grant

Der Europäische Forschungsrat (ERC) vergibt einen Consolidator Grant in Höhe von 2,8 Millionen Euro an Mina Gouti. Sie wird damit neuromuskuläre Organoide weiterentwickeln. Es ist die zweite Ehrung in zwei Wochen, denn Gouti ist auch als EMBO Young Investigator ausgezeichnet worden.

Die Motoneuronen, die Arm-, Bein- und andere Skelettmuskeln steuern, zweigen an verschiedenen Stellen des Rückenmarks ab. Im Labor kann Goutis Team organähnliche Strukturen im Miniaturformat – Organoide – erzeugen, die den Segmenten des Rückenmarks entsprechen. Damit wollen die Wissenschaftler*innen regionale Unterschiede bei degenerativen Erkrankungen untersuchen und potenzielle Therapien für spinale Muskelatrophie (SMA) und amyotrophe Lateralsklerose (ALS) entwickeln.

Mit dieser Förderung sind wir nun in einer hervorragenden Position, um unsere Ideen umzusetzen, unser Organoidmodell weiterzuentwickeln und nachzuweisen, dass es geeignet ist, neue Behandlungsmethoden zu identifizieren.
Mina Gouti
Mina Gouti Leiterin der AG "Stammzell-Modellierung der Entwicklung und Erkrankung"

„Mit dieser Förderung sind wir nun in einer hervorragenden Position, um unsere Ideen umzusetzen, unser Organoidmodell weiterzuentwickeln und nachzuweisen, dass es geeignet ist, neue Behandlungsmethoden zu identifizieren“, sagt Dr. Mina Gouti, die am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) die Arbeitsgruppe „Stammzell-Modellierung der Entwicklung und Erkrankung“ leitet.

Der ERC gewährt Consolidator Grants „herausragenden und vielversprechenden Forscher*innen jeder Nationalität und jeden Alters, die sieben bis zwölf Jahre Berufserfahrung nach der Promotion und einen exzellenten wissenschaftlichen Ansatz vorweisen können“. Die Forschung muss an einer öffentlichen oder privaten Forschungseinrichtung in einem EU-Mitgliedsland oder mit der EU-assoziierten Land stattfinden.

Positionsspezifische Organoide

Gouti und ihre Kolleg*innen haben sehr weit fortgeschrittene neuromuskuläre Organoide entwickelt. Diese Organoide verfügen über alle wesentlichen Zelltypen, aus denen sich neuromuskuläre Endplatten herausbilden. Dadurch können die Motoneuronen den dazugehörigen Mini-Muskeln das Signal geben, wie im menschlichen Körper zu kontrahieren. Die Organoide, die das Team Anfang 2020 in der Fachzeitschrift Cell Stem Cell vorgestellt hat, ähneln damit dem unteren Teil des Rückenmarks, der für den Signalaustausch mit der Beinmuskulatur zuständig ist.

Ein Schnitt durch ein ganzes neuromuskuläres Organoid, bei dem menschliche Rückenmarksneuronen (rot) die Skelettmuskelzellen (grün) anregen. Alle Zellkerne sind weiß angefärbt.

Dank der Unterstützung des ERC kann Goutis Team nun an einem Projekt mit dem Titel „Generation of Position Specific (GPS) Organoids“ arbeiten. Die Wissenschaftler*innen wollen positionsspezifische Organoide entwickeln, die die mittleren und oberen Rückenmarkssegmente repräsentieren. Solche positionsspezifischen Organoide sind von großer Bedeutung, da sich in den entsprechenden Abschnitten des Rückenmarks Motoneuronen befinden, die verschiedene Muskelgruppen steuern. Bei SMA- und ALS-Patient*innen sind in der Regel zuerst motorische Neuronen im oberen und unteren Rückenmark betroffen, die die Verbindung zu den Nervenbahnen der Arme und Beine herstellen. Die Motoneuronen des mittleren Abschnitts befallen diese Krankheiten hingegen erst später. An den Organoiden können die Wissenschaftler*innen künftig genau analysieren, wodurch diese regionalen Unterschiede beeinflusst werden und welche Ereignisabfolge zur Erkrankung führt, noch bevor die ersten Symptome einsetzen.

„Diese Krankheiten zu untersuchen, war bisher ausgesprochen schwierig, denn es mangelte an zuverlässigen In-vitro-Modellen, die die Position der Motoneuronen und die Interaktion mit der Skelettmuskulatur beim Menschen berücksichtigen“, erläutert Gouti.

Medikamente testen

Die Förderung ermöglicht außerdem die Anschaffung eines High-Content-Bildgebungssystems. Dabei handelt es sich um ein Konfokalmikroskop, mit dem das Team mehrere Organoide auf einmal untersuchen kann. Die Wissenschaftler*innen können mit dem System untersuchen, wie aus Zellen von SMA-Patient*innen erzeugte Organoide auf verschiedene Medikamente reagieren. So können sie an der Validierung neu entwickelter Therapien mitwirken und den optimalen Zeitpunkt für den Therapiebeginn ermitteln, um den Untergang motorischer Neuronen zu verhindern. Auch völlig neuartige Ansätze könnten auf diese Weise entdeckt werden.

Da die Organoide aus induzierten pluripotenten Stammzellen des Menschen erzeugt werden, eignen sie sich hervorragend für Medikamententests direkt im Zielgewebe. „Ich hoffe, dass das Organoidmodell als Brücke zwischen vorklinischen und klinischen Studien dienen kann“, sagt Gouti. „Ein realistischere Annäherung an menschliches Gewebe gibt es nicht.“

Das gesamte Netzwerk

In der nächsten Forschungsphase will Goutis Team auch Hirnorganoide mit neuromuskulären Organoiden kombinieren. Sie interessiert, ob funktionsfähige Verknüpfungen entstehen können. „Die von uns entwickelten neuromuskulären Organoide überleben im Labor zwar über 18 Monate, kontrahieren aber schon nach wenigen Monaten nicht mehr“, sagt Gouti. „Wir vermuten, dass das am fehlenden Input vom Gehirn liegen könnte.“

Durch die Kombination hirnähnlicher Organoide mit neuromuskulären Organoiden hätte das Team die Möglichkeit, das gesamte neuromuskuläre Netzwerk im Labor zu untersuchen – vom Signal aus dem Gehirn über das Rückenmark bis zum Muskelgewebe.

Eine weitere Ehrung

Mina Gouti

Bereits in der vergangenen Woche hatte die European Molecular Biology Organization (EMBO) Dr. Mina Gouti als EMBO Young Investigator ausgewählt. Sie ist damit eine von 30 vielversprechenden Nachwuchsforscher*innen des Jahres 2020, gekürt aus einem Bewerberkreis von über 200 Personen. „Diese 30 Forscher*innen haben mit herausragenden wissenschaftlichen Leistungen überzeugt und gehören der nächsten Generation führender Biowissenschaftler*innen an“, begründet EMBO-Direktorin Maria Leptin die Auswahl. „Die Teilnahme am EMBO Young Investigator-Programm wird ihnen in dieser entscheidenden Phase ihrer Karriere weiterhelfen.“

EMBO Young Investigators sind herausragende Biowissenschaftler*innen, die seit höchstens vier Jahren eine eigene Arbeitsgruppe leiten. Mit der Förderung werden sie Teil eines internationalen Netzwerks aus aktuell 73 und 384 ehemaligen Young Investigators. EMBO unterstützt die Forschenden jeweils mit 15.000 Euro, zusätzlich können sie sich um Förderungen bis zu 10.000 Euro pro Jahr bewerben. Dazu kommen Netzwerkmöglichkeiten, Weiterbildungsangebote und andere Vorteile.

„Ich freue mich darauf, im EMBO-Netzwerk Kontakte zu Forscher*innen und Mentor*innen zu knüpfen“, sagt Gouti. „Das ist nicht nur für mich, sondern auch für andere Mitglieder meiner Arbeitsgruppe eine ausgezeichnete Gelegenheit, sich in EMBO-Aktivitäten einzubringen. Wir sind alle sehr gespannt.“

Text: Laura Petersen

 

Weitere Informationen

Kontakt

Jana Schlütter
Redakteurin, Kommunikationsabteilung
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
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jana.schluetter@mdc-berlin.de oder presse@mdc-berlin.de

 

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)

 

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den MDC-Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 60 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organübergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das MDC fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am MDC arbeiten 1600 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete MDC zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.