Colorized scanning electron micrograph

Das Immunsystem umprogrammieren

Wie man Immunzellen besser für die Abwehr von Krankheiten ausrüsten kann, erläutert Dr. Sai Reddy in der nächsten MDC Lecture. Der Forscher gilt als Wegbereiter für das neue Fachgebiet der synthetischen System-Immunologie – nicht zuletzt, weil er zur rechten Zeit am rechten Ort war, wie er sagt.

Seit 2012 leitet Dr. Sai Reddy das Labor für System- und Synthetische Immunologie an der ETH Zürich, im Laufe der Jahre hat er Pionierarbeit auf diesen noch jungen Gebieten geleistet. In der Systemimmunologie geht es vor allem darum, Immunreaktion auf quantitativer Ebene zu verstehen. Die synthetische Immunologie nutzt molekulare und zelluläre Engineering-Methoden, um Immunrezeptoren und -zellen umzuprogrammieren.

In seiner MDC Lecture am 3. März wird Reddy erläutern, wie er Werkzeuge wie die Geneditierung, Deep Sequencing und maschinelles Lernen einsetzt, um Immunproteine und -zellen so umzuprogrammieren, dass sie Infektionen und Krankheiten mit größerer Spezifität und Funktionalität bekämpfen können. Vorab hat er mit uns über diese Felder, seine Lehrphilosophie für Studierende und seine Überlegungen zu Start-ups gesprochen.

Was hat Ihr Interesse an Bioengineering und der Immunologie geweckt?

Sai Reddy: Ich habe mit Bioengineering angefangen, mich dann aber im Laufe meiner Promotion sehr dafür interessiert, quantitative Instrumente mit der Immunologie zu verbinden. Zu dieser Zeit habe ich an Impfstoff-Technologien gearbeitet und wollte wissen, wie gut sie funktionieren. Welche Immunreaktion lösen sie aus? Aber alles, was wir hatten, waren sehr simple Massenmessungen. Die waren nicht spezifisch genug, wenn man die adaptive Immunität verstehen will – die B- und T-Zell-Antworten. So kam ich auf die Idee, dass es hier wirklich noch viel zu erforschen gibt.

Von synthetischer Biologie haben viele Menschen schon mal gehört, aber synthetische Immunologie oder System-Immunologie klingt neu. Wo steht das Feld heute?

Sai Reddy: Die Systemimmunologie und die synthetische Immunologie haben erst in den vergangenen zehn Jahren so richtig Fahrt aufgenommen. Und es wird wahrscheinlich noch ein Jahrzehnt dauern, bis wir umfassendere Programme an den Hochschulen sehen, die sich auf diese Themen spezialisieren. Das liegt zum Teil daran, dass die Immunologie, zumindest in den USA, an medizinischen Fakultäten gelehrt wird. Sie sind auf immunologische Experimente an Tiermodellen und Menschen ausgerichtet. In einem technischen Studiengang ist das nur schwer zu leisten. Außerdem ist die Immunologie ziemlich komplex und teuer – man kann sich nicht mal eben nebenher damit beschäftigen.

Drei Transformationen und ihr Nutzen

Wie sind Sie darauf gekommen?

Sai Reddy: Als ich ab 2012 meine Gruppe an der ETH Zürich aufgebaut habe, passierten drei Dinge, die die Richtung meiner Forschung wirklich geprägt haben. Die Kosten für Deep Sequencing sind drastisch gesunken, sodass wir nun viel bessere DNA- und RNA-Sequenzierungsdaten über adaptive Immunantworten sammeln konnten. Die wegweisende CRISPR-Cas9-Veröffentlichung kam 2012 heraus, und ich konnte lernen, wie man dieses (damals) leistungsstarke neue Genom-Editierungswerkzeug gezielt für Immunzellen einsetzt. Das war vorher nicht möglich. Und 2015 kam das Deep Learning dazu und hilft uns seitdem bei der Analyse unserer enorm großen Datensätze aus dem Deep Sequencing. Meine Forschung hat von der Kombination dieser drei grundlegenden Entwicklungen enorm profitiert. Wir nutzen diese Instrumente, um das Immunsystem besser zu verstehen und bessere Therapien zu identifizieren und zu entwickeln.

Welche Anwendungen für umprogrammierte Immunzellen finden Sie besonders spannend?

Sai Reddy: Am spannendsten ist für mich, dass wir die Spezifizität und die Funktion von Immunzellen und ihren Rezeptoren vorhersagen können. Damit können wir neue Strategien für molekulare und zelluläre Immuntherapien entwickeln – für ganz unterschiedliche Erkrankungen wie Krebs, Autoimmunleiden oder andere Krankheiten, die über das Immunsystem vermittelt sind.

Worauf kommt es Ihnen bei der Leitung Ihrer Arbeitsgruppe und bei der Ausbildung der Studierenden an?

Sai Reddy: Immunologie ist so komplex und teuer, dass viele PIs sehr eng führen. Sie stellen Studierende oder Postdocs ein und geben ihnen jeweils sehr fokussierte und umsichtig geplante Projekte. Meiner Ansicht nach führt das – neben anderen Faktoren – dazu, dass es in der Immunologie wenig Innovation gibt. Mir ist wichtig, dass meine Studierenden eine Ausbildung bekommen, die sie auf dem Weg in die Unabhängigkeit unterstützt. Ich will also nicht nur, dass sie bestimmte Techniken beherrschen. Sie sollten die Möglichkeit haben, ein ganzes Projekt zu steuern – es zu konzipieren, voranzutreiben, zu leiten. Sie sind jeweils ihr eigener Chief Scientific Officer, während ich als CEO agiere und ihnen strategische Vision und Beratung biete.

Sie haben vier Start-ups gegründet: deepCDR Biologics (acquired by Alloy Therapeutics in 2021), Engimmune Therapeutics, Encelta und Fy Cappa Biologics. Welchen Rat haben Sie für junge Forscher*innen, die ihre Entdeckungen vom Labor in die Biotech-Branche bringen wollen?

Sai Reddy: Es ist wichtig, dass Forscher*innen sich wirklich überlegen: Ist das, was sie in der Forschung tun, wirtschaftlich sinnvoll? Es gibt eine ziemlich große Kluft zwischen dem, was wissenschaftlich nützlich ist, und dem, was kommerziell wirklich relevant sein kann. Das ist äußerst schwierig. Wir sind als Wissenschaftler*innen nicht dafür ausgebildet, so zu denken. Wenn Sie ein Unternehmen aufbauen wollen und bisher keine Erfahrung auf diesem Gebiet haben, sollten Sie sich genauso gründlich informieren, wie Sie sich in eine neue Forschungsdisziplin einarbeiten würden: Lesen Sie viel, lernen Sie die Protokolle, sprechen Sie mit Expert*innen! Sie müssen sich die Zeit nehmen, eine Geschäftsidee zu entwickeln – niemand versteht Ihre wissenschaftliche Innovation und deren Potenzial besser als Sie selbst, daher müssen Sie die Führung übernehmen.

Global Health für Kinder und Jugendliche verbessern

Sie sind seit kurzem Wissenschaftlicher Direktor des Botnar Institutes of Immune Engineering (BIIE). Können Sie uns mehr über das Institut und Ihre Pläne verraten?

Sai Reddy: Das BIIE ist eine neu gegründete gemeinnützige Forschungseinrichtung in Basel, Schweiz. Ihr Ziel sind translationale Lösungen für die Diagnose, Behandlung und Prävention von Krankheiten, insbesondere für den Bereich Global Health von Kindern und Jugendlichen. Als Gründungsdirektor des BIIE ist es mir eine Ehre, eine solche Initiative an der Speerspitze des Feldes „Immune Engineering“ zu leiten. In dieser Rolle bin ich dafür verantwortlich, das Forschungsprogramm des Instituts zu prägen und zu leiten – in dem ich meine Expertise auf dem Gebiet der Systemimmunologie und der synthetischen Immunologie sowie mein Fachwissen zur Genomik, molekularer Biotechnologie und maschinellem Lernen in die immunologische Forschung einbringe. Das BIIE soll in den nächsten Jahren auf über 250 Beschäftigte anwachsen und über eine eigene Forschungseinrichtung verfügen. Ermöglicht wird dies durch die überaus großzügige Spende in Höhe von 900 Millionen Franken (950 Millionen Euro) der „Fondation Botnar“. Das ist eine Schweizer philanthropischen Stiftung, die sich für das Wohlergehen junger Menschen weltweit einsetzt.

Die Fragen stellte: Laura Petersen

 

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