Bluthochdruck ohne böse Folgen
Zuweilen liefert die Natur dem Menschen ziemlich gute Vorbilder. So auch im Fall der Familien mit der Erbkrankheit HTNB: Manche ihrer Mitglieder leiden an Hypertonie und Brachydaktylie – das heißt, sie haben hohen Blutdruck und kurze Finger. Anders als bei anderen Menschen mit lang andauernder Hypertonie sind ihr Herz und ihre Nieren jedoch vor den Folgeschäden des erhöhten Drucks in den Gefäßen geschützt.
Wie Dr. Enno Klußmann, Leiter der Arbeitsgruppe „Ankerproteine und Signaltransduktion“ am Max Delbrück Center, und sein Team schon vor ein paar Jahren herausgefunden haben, ist dieser Schutz einem Enzym namens Phosphodiesterase 3A (PDE3A) zu verdanken. „Aufgrund einer Mutation sind die Enzymmoleküle aktiver als gewöhnlich, wahrscheinlich weil sie sich vermehrt in Zweiergruppen zusammentun“, erklärt Klußmann. Diesen Effekt möchte der Forscher nun mithilfe geeigneter Wirkstoffe imitieren. Seine Suche nach den idealen Kandidaten wird ab Oktober drei Jahre lang von der Else Kröner-Fresenius-Stiftung mit 400.000 Euro unterstützt.
Zu zweit geht es vermutlich besser
Rund 1,3 Milliarden Menschen weltweit leiden an Bluthochdruck, der unbehandelt zu lebensbedrohlichen Herzschäden wie Hypertrophie, also einem krankhaft vergrößerten Herzen, und schwerer Herzschwäche führen kann. „Solche Schäden weist das Herz von Menschen mit HTNB oder von Tiermodellen mit einer überaktiven PDE3A nicht auf“, sagt Klußmann. Sein Ziel ist es, Wirkstoffe zu finden, die aufgrund ihrer geringen Größe in die Zellen eindringen und dort die schützenden Effekte der PDE3A-Mutation nachahmen. „Diese Moleküle könnten sich an das Enzym heften und so die Bildung der Zweiergruppen einleiten“, erläutert Klußmann.
Die große Suche nach den kleinen Molekülen wird in der Screening-Unit des Leibniz-Forschungsinstituts für Molekulare Pharmakologie (FMP) auf dem Campus Berlin-Buch starten. Diese verfügt über öffentlich zugängliche Wirkstoff-Bibliotheken mit rund 170.000 solcher Small Molecules und wird von Dr. Jens Peter von Kries geleitet. Neben ihm wird sich auch Dr. Ester Paolocci intensiv an der Suche beteiligen. Die Forscherin hat gerade ihre Doktorarbeit an der University of Oxford in England beendet und wird das Projekt als Postdoc in Klußmanns Arbeitsgruppe leiten.
Welche Wirkstoffe aktivieren das Enzym?
„Noch tappen wir bei der Kandidatensuche ziemlich im Dunkeln“, sagt Klußmann. „Wir gehen somit ganz unvoreingenommen an unsere Experimente.“ Sein Vorhaben wird als eines der Schlüsselprojekte der Stiftung gefördert, die zu neuen Therapieansätzen führen oder bisheriges Lehrbuchwissen ändern sollen. Zunächst wollen Klußmann und seine Kolleg*innen mithilfe der FRET-Mikroskopie ermitteln, welche Wirkstoffe die PDE3A womöglich aktivieren. Bei dem Verfahren handelt es sich um eine spezielle Form der Fluoreszenzmikroskopie. Im Anschluss werden die Forschenden die Effekte der gefundenen Aktivatoren weiter untersuchen. „Wir möchten beispielsweise ihre antihypertrophe – also letztendlich herzschützende – Wirkung in zwei unterschiedlichen Herzmuskelmodellen nachweisen“, erklärt Klußmann. Gewonnen haben er und sein Team die Herzmuskelzellen zum einen aus Ratten, zum anderen aus menschlichen induzierten pluripotenten Stammzellen.
Dieser Nachweis würde allerdings nicht automatisch zu einem neuen Medikament führen. „Eine generelle Aktivierung der PDE3A im ganzen Organismus wird sehr wahrscheinlich Bluthochdruck hervorrufen und das Risiko eines Schlaganfalls stark erhöhen“, sagt Klußmann. „Es muss uns also erst gelingen, die aktivierenden Moleküle gezielt zu jenen Orten im Körper zu transportieren, wo sie ihre organschützende Wirkung entfalten können.“ Denkbar wären dann Arzneimittel, die Herzschäden bei Bluthochdruck-Patient*innen verhindern oder lindern, oder auch Weiterentwicklungen, die vor bluthochdruckbedingten Nierenleiden schützen. Klußmann ist sich sicher: „Allein hierzulande würden Millionen von Menschen von solchen Präparaten profitieren.“
Text: Anke Brodmerkel
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