Google Maps fürs Gewebe
Es passiert fast wie von Zauberhand. Mithilfe ein paar chemischer Tricks und Kniffe gelingt es seit ein paar Jahren, große Gebilde wie Mäusegehirne oder menschliche Organoide durchsichtig zu machen. CLARITY heißt die vielleicht berühmteste von vielen verschiedenen Methoden des „Sample Clearings“, mit denen fast jedes beliebige Forschungsobjekt so transparent wie Wasser wird. Auf diese Weise lassen sich Einsichten in die zellulären Strukturen gewinnen, von denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler früher nur träumen konnten.
Und das ist noch nicht alles. Im Jahr 2015 wurde im Fachblatt „Science“ mit der Expansionsmikroskopie ein weiterer Zaubertrick vorgestellt. Ein Forschungsteam am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge ließ hauchdünne Schnitte von Mäusegehirnen so anschwellen, dass sich deren Volumen fast um das Fünffache vergrößerte. Dadurch ließen sich in den Proben noch mehr Details erkennen.
Das Programm schafft Ordnung im Datenchaos
„Mithilfe moderner Lichtscheibenmikroskope, die inzwischen in zahlreichen Laboren zur Verfügung stehen, können die so bearbeiteten großen Proben rasend schnell durchleuchtet werden“, sagt der Leiter der MDC-Arbeitsgruppe „Mikroskopie, Bildverarbeitung & Modellierung von Entwicklungsprozessen in Organismen“, Dr. Stephan Preibisch. „Das Problem ist allerdings, dass dabei so große Datenmengen von mehreren Terabytes entstehen, dass sich mit ihnen in vielen Fällen gar nichts mehr anfangen lässt.“
Um Ordnung in das Chaos zu bekommen, haben Preibisch und sein Team nun eine Software entwickelt, die nach Abschluss der komplexen Datenrekonstruktion ein wenig an Google Maps in 3D erinnert. „Man kann sich mit ihr sowohl einen Überblick über das große Ganze verschaffen, als auch gezielt in einzelne Strukturen hineinzoomen – immer mit der Auflösung, die gerade gewünscht ist“, erläutert Preibisch, der die Software „BigStitcher“ nennt. Vorgestellt wird das Computerprogramm, das allen interessierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zugänglich sein wird, jetzt im Fachblatt „Nature Methods“.
An der Entwicklung beteiligt war ein zwölfköpfiges Team aus Berlin, München, Großbritannien und den USA. Die beiden Erstautoren der Publikation sind David Hörl von der Ludwig-Maximilians-Universität München und vom Berlin Institute for Medical Systems Biology (BIMSB) des MDC sowie Dr. Fabio Rojas Rusak aus der MDC-Arbeitsgruppe von Professor Mathias Treier. Gemeinsam zeigen die Forscherinnen und Forscher in ihrem Paper, dass man die per Lichtblattmikroskopie gewonnenen Daten mithilfe entsprechender Algorithmen so rekonstruieren und skalieren kann, dass dafür kein Superrechner vonnöten ist. „Unsere Software ist für jeden gängigen Computer geeignet“, sagt Preibisch. „So können die Daten auch leicht unter mehreren Forschungsteams ausgetauscht werden.“
Auch die Qualität der Daten wird bestimmt
Begonnen hat die Entwicklung vom „BigStitcher“ im Prinzip bereits vor rund zehn Jahren. „Damals war ich noch Doktorand und machte mir viele Gedanken darüber, wie man mit sehr großen Datenmengen am besten umgehen kann“ erinnert sich Preibisch. „Die in dieser Zeit von uns erstellten Frameworks konnten wir jetzt gut nutzen, um ein sehr aktuelles Problem erfolgreich anzugehen.“ Doch natürlich seien auch viele neu erstellte Algorithmen in die Software mit eingeflossen.
Mithilfe des Programms lassen sich die zuvor durchleuchteten Proben nicht nur in beliebiger Detailgenauigkeit auf dem Bildschirm visualisieren. Der „BigStitcher“ kann noch mehr. „Die Software überprüft automatisch auch die Qualität der gewonnen Daten“, sagt Preibisch. Meist ist diese nämlich nicht an allen Stellen des Untersuchungsobjektes gleich. „Manchmal hat zum Beispiel das Clearing an einer Stelle nicht so gut funktioniert, so dass dort weniger Details erfasst werden konnten“, erklärt der MDC-Forscher.
„Je heller eine bestimmte Region zum Beispiel des Mäusegehirns oder des menschlichen Organoids auf dem Bildschirm hinterlegt wird, desto höher und verlässlicher ist die Aussagekraft der an dieser Stelle gewonnenen Daten“, erläutert Preibisch die zusätzliche Funktion seiner Software. Und da selbst mit den besten Clearing-Methoden eine Probe nie hundertprozentig durchsichtig wird, lässt sich das per Mikroskop gewonnene Bild auf dem Bildschirm in jede beliebige Richtung drehen und wenden. So kann sie von allen Seiten begutachtet werden. „Auch das ist neu an unserer Software“, sagt Preibisch.
Jeder Interessierte kann die Software gratis downloaden
Mithilfe der Zoomfunktion lassen sich viele Fragen klären, die Biologinnen und Biologen interessieren. Wo im Gehirn findet gerade Zellteilung statt? Wo wird RNA exprimiert? Oder wo enden bestimmte Nervenbahnen? „Um all das herauszufinden, ist es erforderlich, sich zunächst einen Überblick über das ganze Untersuchungsobjekt zu verschaffen, dann aber auch mit hoher Auflösung in kleine Details hineinzoomen zu können“, sind sich Treier und Preibisch einig. In vielen Laboren werde daher eine Software wie „BigStitcher“ heutzutage benötigt. Vertrieben wird das Computerprogramm übrigens innerhalb des Fiji-Frameworks, wo jeder Interessierte das Plug-In kostenlos herunterladen und nutzen kann.
Anke Brodmerkel
Weiterführende Informationen
Literatur
David Hörl, Fabio Rojas Rusak et al. (2019): „BigStitcher: Reconstructing high-resolution image datasets of cleared and expanded samples“. Nature Methods, doi 10.1038/s41592-019-0501-0.
Kontakte
Dr. Stephan Preibisch
Leiter der Arbeitsgruppe „Mikroskopie, Bildverarbeitung & Modellierung von Entwicklungsprozessen in Organismen“ am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie (BIMSB)
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
+49(0)30-9406-1353
Stephan.Preibisch@mdc-berlin.de
Jana Schlütter
Redakteurin, Abteilung Kommunikation
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
+49(0)30-9406-2121
jana.schluetter@mdc-berlin.de
- Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)
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Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den MDC-Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 60 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organübergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das MDC fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am MDC arbeiten 1600 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete MDC zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.