Neuer Omikron-Subtyp auf dem Vormarsch
Das Coronavirus mutiert ständig. Nach Alpha und Beta kam Delta, auch Gamma, Lambda, Epsilon und Iota kursieren in Teilen der Welt. Seit Omikron auf den Plan getreten ist, ist Delta in Deutschland fast vollständig verschwunden. Von Omikron sind zwei Subtypen bekannt, BA.1 und BA.2. In Berlin dominiert bislang BA.1. Doch Wissenschaftler*innen des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), der Berliner Wasserbetriebe (BWB) und des Laborunternehmens amedes konnten nun im Berliner Abwasser die Omikron-Untervariante BA.2 nachweisen: Anfang Januar war der Anteil kaum sichtbar, doch bereits am 13. Januar ungefähr machte BA.2 sechs und am 19. Januar ungefähr zwölf Prozent aus. Er wächst also schnell an.
Es ist möglich, dass BA.2 die derzeitige Omikron-Welle etwas verlängert.
Die beiden Subtypen unterscheiden sich in etwa 20 Mutationen voneinander. In Dänemark und in Südafrika hat BA.2 den Subtyp BA.1 nahezu verdrängt, in Großbritannien nimmt der Anteil von BA.2 seit Anfang Januar ebenfalls schnell zu. Eine Untersuchung dänischer Forscher*innen zeigt, dass BA.2 sich offenbar noch schneller verbreitet als BA.1. „Es ist möglich, dass BA.2 die derzeitige Omikron-Welle etwas verlängert“, sagt der MDC-Molekularbiologe Dr. Emanuel Wyler aus der Arbeitsgruppe „RNA-Biologie und Posttranscriptionale Regulation“ von Professor Markus Landthaler. „Die bisherigen Daten aus Großbritannien und Dänemark deuten aber eher darauf hin, dass bezüglich Krankheitsschwere und Wirkung der Impfung BA.1 und BA.2 vergleichbar sind.“
Computer-Tool sagt voraus, ob Inzidenz zu- oder abnimmt
Solche Vorhersagen ermöglicht ein computergestütztes Tool, das die Technologie-Plattform „Bioinformatics and Omics Data Science“ von Dr. Altuna Akalin am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie (BIMSB) des MDC zusammen mit Kolleg*innen entwickelt haben. Mit „PiGx SARS-CoV-2“ können sie die Ausbreitung von SARS-CoV-2 sowie die Häufigkeit von Mutationen oder Virusvarianten aufdecken. Es funktioniert unabhängig von der Anzahl der Coronatests und den Krankheitsverläufen.
Die Ergebnisse des MDC decken sich mit denen der Berliner Wasserbetriebe, die in Kooperation mit dem Berliner Labor der amedes-Gruppe unter der Leitung von Dr. Martin Meixner ein eigenes Nachweis-Modell inklusive der Sequenzierung der Virusvarianten sowie eine App für die Visualisierung der Daten entwickelt haben. MDC und die Berliner Wasserbetriebe teilen sich die Arbeit auf: Während der Fokus der Wasserbetriebe auf der schnellen Bestimmung und Übermittlung der Viruslast liegt, analysiert das MDC vorrangig Untertypen und Mutationen.
Seit mehr als einem Jahr suchen die Forschenden im Berliner Abwasser nach dem Erbgut des Coronavirus. Einmal wöchentlich bereiten die Berliner Wasserbetriebe, die aktuell eine eigene Virus-Sequenzierung in ihrem Labor einrichten, Abwasserproben auf und senden diese ans BIMSB sowie an amedes. Die Wissenschaftler*innen reichern die Viruspartikel an und vervielfältigten das Virus-Erbgut mithilfe der PCR. In einem nächsten Schritt können sie mit Hochdurchsatz-Sequenzierungen sehen, welchen Anteil die einzelnen Virusvarianten unter den gefundenen Coronaviren ausmachen. Für die Abwasser-Sequenzierung am BIMSB ist insbesondere die Arbeitsgruppe von Markus Landthaler sowie die Genomik-Plattform unter der Leitung von Dr. Janine Altmüller verantwortlich.
Abwasseranalysen können zur Frühwarnung dienen, da sie mit einigen Tagen Vorsprung zeigen, welche Variante im Umlauf ist.
Werden Proben aus dem Hals-Rachenraum sequenziert, wird bislang nicht zwischen Virusvarianten unterschieden. Abwasseranalysen machen das leichter: „Für ein aussagekräftiges Ergebnis über die Verbreitung neuer Virusvarianten müssen deutlich weniger Proben untersucht werden als bei der Analyse von Nasen-Rachenabstrichen“, sagt Markus Landthaler. „Außerdem können sie zur Frühwarnung dienen, da sie mit einigen Tagen Vorsprung zeigen, welche Variante im Umlauf ist. Die Daten zu BA.2 zeigen, wie empfindlich und effizient das Abwasser-Monitoring ist beim Bestimmen von Krankheitserregern. Das ist auch über SARS-CoV-2 hinaus von Bedeutung.“
Untersuchungen des Abwassers sind in Deutschland noch nicht als Teil eines Corona-Frühwarnsystems etabliert – weder für bekannte noch für ganz neue Virusvarianten. Das könnte sich jetzt ändern: Berlin ist einer von 20 Pilotstandorten im Abwasser-Monitoring-Programm, das die Bundesministerien für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMUV), für Gesundheit (BMG) sowie für Bildung und Forschung (BMBF) mithilfe von EU-Mitteln fördern. Projektpartner sind die Berliner Wasserbetriebe und das Landesamt für Gesundheit und Soziales. Ziel ist ein nationales Abwasserüberwachungssystem. Es soll Daten über SARS-CoV-2 und insbesondere seine Varianten im Abwasser erheben und an die zuständigen Gesundheitsbehörden sowie an eine europäische Austauschplattform übermitteln.
Text: Jana Ehrhardt-Joswig
Weitere Informationen
Literatur
Vic-Fabienne Schumann, Rafael Ricardo de Castro Cuadrat, Emanuel Wyler et al. (2021): „COVID-19 infection dynamics revealed by SARS-CoV-2 wastewater sequencing analysis and deconvolution“. MedRxiv, DOI: 10.1101/2021.11.30.21266952
Hinweis: Es handelt sich um Zwischenergebnisse und ein Manuskript, das auf einem Preprint-Server der Wissenschaft zur Verfügung steht. Bislang gab es noch keine wissenschaftliche Begutachtung der Methode (Peer Review). Bis zur offiziellen Veröffentlichung kann noch einige Zeit vergehen, möglicherweise müssen die Autor*innen das Manuskript anpassen und / oder erweitern. Da das Thema aufgrund der besorgniserregenden Omikron-Variante derzeit sehr dringlich ist, stellt das MDC es dennoch hier vor.
Kontakte
Dr. Emanuel Wyler
AG Landthaler, RNA-Biologie und Posttranscriptionale Regulation
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
+49 30 9406-3009
emanuel.wyler@mdc-berlin.de
Jana Schlütter
Redakteurin, Kommunikationsabteilung
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
+49 30 9406-2121
jana.schluetter@mdc-berlin.de oder presse@mdc-berlin.de
- Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)
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Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft gehört zu den international führenden biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück, geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den MDC-Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus rund 60 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen kleinsten Bausteinen bis zu organübergreifenden Mechanismen. Wenn man versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch Patient*innen zugutekommen. Das MDC fördert daher Ausgründungen und kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and Clinical Research Center (ECRC) und dem Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am MDC arbeiten 1600 Menschen. Finanziert wird das 1992 gegründete MDC zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land Berlin.